Die Darstellung einiger Schwerter Schicksale basiert zu weit über 90 Prozent auf Aktenmaterial aus dem Archiv des Märkischen Kreises in Altena. Weiter herangezogen wurden Akten aus dem Bundesarchiv Berlin, dem NRW-Staatsarchiv Münster sowie eines Privatarchives.
Bei den in diesem Rahmen beschriebenen jüdischen Schicksalen handelt es sich um zusätzliche und erweiterte Informationen, die über die Inhalte des Buches "Geschichte der Juden in Schwerte" hinaus gehen.
Der Pianist der „Reichskrone“ hieß Alfred Alexander. Gemeinsam mit seiner Frau (Violine) begleitete er von 1918 bis 1927 die Stummfilme, die die Schwerter/innen damals in Scharen in das Lichtspieltheater „Zur Reichskrone“ (gegenüber der Post) zogen. Alexander war Jude und überlebte Verfolgung, Deportation und wahrscheinlichen Tod nur, weil er sich als „Mischling“ tarnte.
Der Pianist musizierte zunächst von 1908 bis 1914 als Ensemblemusiker im In- und Ausland. Nach seinem Ausscheiden als Musiker der „Reichskrone“ war er – mit Trio oder Quartett – wieder freiberuflich tätig, bekam aber schon 1931, mit dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung, Schwierigkeiten wegen seiner SPD-Mitgliedschaft und Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied in Holzen. Im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand wurde er am 28.02.1933 verhaftet. Bis zum 12.10.1933 saß im Hagener Gerichtsgefängnis Hagen ein.
Zwei weitere Jahre, bis 1935, konnte er sein Geld als Musiker nur noch mit Mühe verdienen. Denn immer wieder machte ihm die national-sozialistische Reichsmusikkammer Schwierigkeiten, bis sie das endgültige Berufsverbot über ihn verhängte mit der Begründung, die Richtlinien zum Musizieren im Sinne der national-sozialistischen Staatsführung seien nicht gegeben. Damit waren ihm und seiner Frau die beruflichen Existenzgrundlagen entzogen. Seine Frau war gezwungen, eine Putzstelle bei einer jüdischen Firma zu übernehmen, denn wegen ihrer Ehe mit einem Juden wurde sie nicht in eine ihr angemessene Arbeit vermittelt. Alexander mußte sich und seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten bei verschiedenen Hoch- und Tiefbaufirmen, ab 1938 als Arbeiter bei den Stahlwerken Brüninghaus in Westhofen, durchbringen.
In Westhofen arbeitete bis zum Juli 1944, wurde am 22.08.1944 festgenommen und vorübergehend in das „wilde KZ“ Reh bei Hohenlimburg eingeliefert. Im Oktober des Jahres, am 13.10.1944 wurde er erneut verhaftet und in das Arbeitslager Hünefeld bei Fulda verbracht. Von dort konnte er am 28.03.1945 fliehen. Er war völlig mittellos, bis er von der Stadtverwaltung Schwerte am 01.06.1945 eine Anstellung als Angestellter erhielt.
Adolf Tondok, der Besitzer und Inhaber der Lichtspiele „Zur Reichskrone“ stellte ihm am 15.11.1927 folgendes Zeugnis aus: „Alfred Alexander war vom 01.12.1918 bis heute in meinen Lichtspielen zur Reichskrone als Pianist und Leiter der Kapelle, zur Zeit vier Personen, zeitweise zwölf Personen, tätig. Herr Alexander war ein pünktlicher, gewissenhafter Musiker. Er hat in allen Jahren die Illustration der Bilder zu meiner und vor allem zur Zufriedenheit des Kino besuchenden Publikums ausgeführt, was sich durch seine langjährige Tätigkeit bei mir beweist. Ich kann daher Herrn Alexander meinen Kollegen aufs wärmste empfehlen. Der Austritt erfolgt auf eigenen Wunsch.“
Alfred Alexander wurde am 01.10.1889 in Kiel geboren, wohnte in Schwerte an der Bahnhofstraße 8. Im Jahre 1956 starb er und wurde auf dem Dortmunder Hauptfriedhof zur letzten Ruhe gebettet.
Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurde auch der Schwerter Bauarbeiter Heinrich Drescher (KPD). Drescher wurde durch das Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm am 05.02.1937 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Da die Akten durch Kriegseinwirkung verloren gegangen sind, lassen sich Einzelheiten der Anklage nicht mehr rekonstruieren. Heinrich Drescher hat die Strafe bis zum 27.05.1943 teilweise verbüßt, wurde dann in das Bezirkskrankenhaus der Strafanstalt Bochum verlegt, wo er am 18.09.1943 starb.
Die Witwe Dreschers erhielt 1953 ein Schreiben des Hammer Generalstaatsanwaltes. Darin wurde ihr u.a. mitgeteilt, das gegen ihren Mann ergangene Urteil sei aufgrund der Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit vom 03.06.1974 aufgehoben, „ohne daß es einer gerichtlichen Entscheidung bedarf.“
Der Verstorbene gehörte mit zu den insgesamt 51 Angeklagten aus Schwerte, die im Sommer 1934 vom II. Strafsenat des OLG Hamm in Hagen wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt wurden. Die Kommunisten hatten versucht, ihre vom Hitler-Regime verbotene KPD erneut zu gründen. Drescher wurde in diesem Verfahren zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Josef August Senft, der 1945 bei den sog. Karfreitagsmorde in Dortmund ermordet wurde, erhielt ein Jahr und sechs Monate Gefängnis und der zwischenzeitlich verstorbene Antifaschist Ernst Sadowski, lange Jahre in der Schwerter Friedensbewegung aktiv, wurde mit einem Jahr und neun Monaten Gefängnis bestraft.
Cilly war ein hübsches Mädchen, klein und zierlich. Wenn sie – noch sehr jung – im elterlichen Seifengeschäft an der Hüsingstraße Kunden bediente, konnte sie kaum über die Ladentheke schauen. Als sie 14 Jahre alt war, wurde sie von den Nationalsozialisten gemeinsam mit ihren Eltern Abraham und Elfriede Galonska nach Polen deportiert.
Durch Schnellerlaß vom 26.10.1938 ordnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler, Chef der Deutschen Polizei, ein Aufenthaltsverbot für alle Juden polnischer Staatsangehörigkeit im damalige Reichsgebiet an. Innerhalb eines einzigen Tages mußte die Familie Schwerte bzw. das Reichsgebiet verlassen. Sie konnten nur das mitnehmen, was sie am Leibe trugen.
Gleichzeitig wurden die Galonskas auf Weisung des Iserlohner Landrates durch den Schwerter Bürgermeister als Ortspolizeibehörde in Polizeigewahrsam genommen. Ein beim Ehemann gefundener Geldbetrag über 3 205 Mark und seine goldene Uhr wurden von der Polizei beschlagnahmt. Das Geschäftslokal an der Hüsingstraße 7 wurde, ebenso wie die Wohnung, noch am Vormittag des 28. Oktobers versiegelt. Die Warenvorräte des Geschäftes wurden zur Deckung einer Steuerschuld versteigert. Dabei wurde für Artikel, die keine Markenwaren waren, die Hälfte des Auszeichnungspreises in Ansatz gebracht.
Mit einem Sammeltransport wurde die Familie Galonska am 29.10.1938 nach Polen abgeschoben. Dort kamen sie in das unter polnischer Bewachung stehende Lager Bentschen (Oberschlesien), einige Tage später in das Lager Wielucka. Dort wurde das 14-jährige Kind von seinen Eltern getrennt, die 1942 in einem KZ ums Leben kamen.
Cilly Galonska mußte unter unsäglichen Bedingungen in verschiedenen Konzentrationslagern ein armseliges, täglich vom Tode bedrohtes Leben fristen. Nach ihrer Befreiung am 15.01.1945 aus dem KZ Blechhammer ging sie nach Schweden, weil sie eine erneute Festnahme durch die Gestapo befürchtete. Am 15.02.1950 kehrte sie nach Deutschland zurück, heiratete und wohnte in Düsseldorf-Oberkassel, wo sie ein Handelsgeschäft betrieb.
Der am 15.02.1886 in Altenbecken geborene Joseph Kölling sollte nach Willen seiner Eltern eigentlich Pfarrer werden. Seine Familie stammte ursprünglich aus Hannover. Gegen den Willen seiner Familie heiratete er 1907 die jüdische Hedwig Hirschberg (geb. 22.04.1882 in Sievershausen) in Holzminden. Die Eheschließung muss in seiner Familie zu vielen Diskussionen geführt haben, denn nach der Hochzeit hat Joseph nie wieder eine Kirche betreten.
Die ersten Ehejahre von Hedwig und Joseph waren geprägt von Veränderungen. Sie lebten in Langenberg, Niedersessmar und Wuppertal Barmen bis sie nach Schwerte zogen. In Gummersbach arbeitete Joseph Kölling als Bahnhofsvorsteher.
Hedwig und Joseph hatten fünf Kinder: Bernhard(geb.09.08.1907 in Langenberg), Harriet (geb.29.06.1912 in Niedersessmar), Hannah (geb.28.04.1918 in Wuppertal Barmen), Gisela (geb.26.02.1909 in Langenberg) und Ursula (geb.02.06.1920 in Schwerte).
In Schwerte lebten sie in der Hüsingstraße 1 und eröffneten am Markt ein Geschäft für Tapeten und Farben. Alte Schwerter Bürger erinnern sich noch, dort eingekauft zu haben, wo sie von Hedwig beraten wurden.
Als nach dem ersten Weltkrieg die Versorgungslage in Deutschland schlecht war, schickten Hedwig und Joseph ihre Kinder Harriet und Bernhard zu Pflegefamilien in das benachbarte Holland, in das „Land wo Milch und Honig fließen“. Harriet genoss das Leben in der holländischen Familie sehr, da ihr als Kind in der Familie mehr Zeit gewidmet wurde als im Geschäftshaushalt ihrer Eltern. So hielt sich ihre Begeisterung in Grenzen, als ihre Eltern sie wieder abholten. Harriet galt in der Familie als „rebellisches Kind“. Als Tochter aus gutem Haus sollte sie einen reichen Mann heiraten. Sie setzte durch, erlernte einen Beruf und wurde Frisörin. In dieser Zeit entstand die Beziehung der Familie zu den Niederlanden.
Die jüngste Tochter Ursula erkrankte als Kind schwer. Die Ärzte erklärten den besorgten Eltern, dass ihre Tochter nicht sehr alt werden würde. So wurde sie von der Familie sehr verwöhnt und konnte immer ihren Willen durchsetzen. Die Repressalien durch das Naziregime und Verfolgung waren für sie besonders schwer zu ertragen.
Der Sohn Bernhart eröffnete am Markt in Schwerte ein Café. Als ihm durch die Nazis die Schankgenehmigung entzogen wurde, musste er das Café aufgeben. Er heiratete die Jüdin Hildegart Stegemann. Mit seiner Familie flüchtete er in die Niederlande. Seine Eltern und Geschwister folgten ihm einige Zeit später. Die Familie lebte in Gennep in der Provinz Limburg in den Niederlanden.
Am 08.09.1943 wurde Hedwig Kölling durch die Gestapo verhaftet. Ihre Deportation nach Auschwitz erfolgte am 17.07.1944. Dort wurde Hedwig ermordet.
Josef Kölling war nach der Verhaftung von Hedwig nicht bereit, sich von ihr scheiden zu lassen. Aus diesem Grund wurde er 1943 nach Dachau deportiert. Nach der Befreiung aus dem KZ kehrte er 1945 nach Schwerte zurück und wohnte in der Graf-Ardolf-Str. 5 in Schwerte. Von seiner Tochter Gisela wurde er gepflegt. Die lange Zeit in Dachau mit ihren Qualen hatte seiner Gesundheit sehr zugesetzt. Später heiratete er noch einmal.
Bernhard Kölling tauchte mit seiner Familie unter und überlebte die Nazizeit mit seiner Familie im Versteck. Sein Sohn Bob erinnert sich noch an die Zeit im Versteck.
Die Schwestern Harriet, Hannah, Gisela und Ursula wurde 1944 in ein holländisches Lager evakuiert. Später arbeiteten sie in einem deutschen Krankenhaus in Nimwegen. Mehrfach sollten sie nach Deutschland deportiert werden. Zwei deutsche Ärzte verhinderten dies. Jede Woche mussten sie sich in der Polizeistation in Gennep melden, was für sie mit existenzieller Angst verbunden war. Auch die Arbeit in dem Krakenhaus war für sie sehr belastend. Sie erlebten wie die SS jüdische Babys an die Wand warfen, um sie zu töten.
Gisela die ihren Vater nach dem Krieg pflegte, heiratete später Franz Gappskie und lebte bis zu ihrem Tot vor zwei Jahren in Hagen. Harriet, Hannah und Ursula blieben in den Niederlanden, wo ihre Kinder und Enkel noch heute leben.
Joseph Kölling sprach nie über seine Zeit in Dachau. Sein Sohn Bernhard fragte ihn immer wieder. Eines Tages zog er sich mit ihm zu einem Gespräch zurück. Aus diesem Gespräch kehrte Bernhard nach Berichten der Enkel sehr verändert zurück.
Von seinem Enkel wurde Joseph gefragt, ob er sich nicht vor den Deutschen ekelt. Joseph verneinte dies. Er erklärte ihm, dass einer seiner Nachbarn ein holländischer Nazi sei, der nach dem Krieg nach Deutschland gegangen sei, um in den Niederlanden nicht wegen seiner im Krieg begangenen Taten belangt zu werden. Dies sei für ihn viel schwerer zu ertragen.
In der Zeit, in der die Familie in Schwerte lebte, erwarben die Eheleute Kölling zwei Häuser, um für ihren Lebensabend vor zu sorgen. Joseph Kölling versuchte nach dem Krieg nicht, diese Immobilien wieder zu bekommen. Er vertrat die Meinung, dass die Besitzer in der Zwischenzeit so häufig gewechselt hätten, dass er den jetzigen Besitzern nur Leid antun würde.
Recherche und Text: Claudia Becker-Haggeney
Die 1888 in Korbach geborene Helene Mildenberg, geb. Kugelmann - auch genannt Friederike oder Rickchen - war alleinige Inhaberin des Schuhgeschäftes Kugelmann an der Hüsingstraße/Ecke Mährstraße (heute "EuroShop"). Ihre Schwester Rebecca stand ihr als Prokuristin des Unternehmens zur Seite.
Helene Mildenberg hatte nach ihrer Scheidung wieder den Namen Kugelmann angenommen. Die beiden Schwestern Helene und Rebecca Kugelmann hatten ihre Vorbereitungen zur Emigration nach Argentinien bereits abgeschlossen, aber Helene floh dann aber entgegen den urspünglichen Plänen vor Kriegsbeginn nach Amsterdam. Sie starb in Auschwitz. Ihre Schwester Rebecca blieb aus nicht bekannten Gründen in Schwerte, wurde nach Theresienstadt deportiert und überlebte den braunen Terror.
Nach Angaben von Helenes Tochter Else Rosenfeldt, geb. Mildenberg-Kugelmann (Tel Aviv) wohnte die Schwerter Kauffrau unter menschenunwürdigen Umständen bei einem Bekannten in der Zuider Amstellaan 217. Unter dieser Adresse und mit der Unterschrift des Bekannten korrespondierte sie auch mit ihr über das Rote Kreuz. Der letzte Rote-Kreuz-Brief, den Else Rosenfeldt von ihrer Mutter aus Amsterdam erhielt, ist vom 03.04.1943 datiert.
Helene Kugelmann wurde, so das Informatie Bureau van het Nederlandsche Roode Kruiz, am 18.09.1943 in das Konzentrationslager Westerbork eingeliefert und am 21.09.1943 nach Auschwitz deportiert. „Obengenannte Person gilt als gestorben am 23.09.1943 in der Umgebung von Auschwitz“.
Die Schwester Rebecca Kugelmann (geb. 1878 in Korbach) wohnte an der Bahnhofstraße 8. Sie wurde am 28.07.1942 von der Schwerter Liethstraße nach Theresienstadt deportiert und kehrte nach der Befreiung durch die Alliierten in ihre Heimatstadt Schwerte zurück. Dort wohnte sie in einer möblierten Drei-Zimmer-Wohnung, die ihr Rudolf Steinschulte in seinem Haus zur Verfügung gestellt hatte.
Nach einem Schreiben des Einzelhandelsverbandes Südwestfalen lag der Umsatz des Schuhgeschäftes Kugelmann an der Hüsingstraße im Jahre 1933 bei rund 100.000 Reichmark, entwickelte sich allerdings aufgrund der Boykottmaßnahmen ab 1933 deutlich rückläufig. In der sog. „Kristallnacht“, später auch Pogromnacht genannt, am 09.11.1938, wurde das Geschäft, so der Ermittlungsbericht des Oberkreisdirektors Iserlohn, Amt für Wiedergutmachung, "total zerstört“. Die Stadtverwaltung Schwerte hatte durch Rückfragen bei ehemaligen Nachbarn festgestellt, die Schädigung habe durch Zerstörung und Plünderung bei etwa 70 bis 75 Prozent gelegen.
Steinschulte hatte nach der Pogromnacht auf entsprechende Aufforderung durch die Industrie- und Handelskammer Dortmund gemeinsam mit dem Inhaber des Schuhgeschäftes Viehoff den Restbestand des größtenteils demolierten Kugelmann-Warenlagers übernommen, später auch die Geschäftsräume. Denn: Nach der am 12.11.1938 ergangenen „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“, war den Juden ab 01.01.1939 u.a. der Betrieb von Einzelhandelsunternehmen untersagt. Der gegen Steinschulte laufende Antrag auf Wiedergutmachung wegen der Übernahme des Restlagers wurde von der Wiedergutmachungskammer am Landgericht Hagen durch Urteil vom 18.10.1954 zurückgewiesen. Gegen die Firma Viehoff wurde ein Rückerstattungsbetrag von 250 DM festgesetzt.
Rebecca Kugelmann starb am 24.09.1950 in Essen-Werden. Die Schwestern Kugelmann hatten zwei Brüder, Max und Siegmund sowie eine Tochter bzw. Nichte, Else Rosenfeldt.
Wilhelm Kuhlmann wurde am 08.04.1888 in Schwerte geboren. Er war Vater eines Sohnes und arbeitete bei dem Schwerter Bauunternehmen Fritz Kremer als Maurer.
Seine politische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bezahlte der Schwerter Wilhelm Kuhlmann (KPD) mit dem Leben. Er starb, wie sich jetzt bei den Recherchen zur „Aktion Stolperstein“ herausstellte, am 28.06.1934 während der Haft in der „Steinwache“, dem Dortmunder Gestapo-Gefängnis. Kuhlmanns Tod in der berüchtigten „Hölle Westdeutschlands“ stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit seiner Verfolgung durch das NS-Regime, heißt es in einem offiziellen Bescheid des Iserlohner Amtes für Wiedergutmachung an die Witwe.
Kuhlmann, der mit seiner Frau in der Bergischen Straße 73 wohnte, war bereits vor 1933, der sog. „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten, Mitglied der KPD. Er wurde deswegen am 23.05.1933 festgenommen und in das Polizeigefängnis Schwerte eingeliefert, von dem er vier Tage später, am 27.05., in das Gefängnis Hagen überführt, jedoch am gleichen Tage auf freien Fuß gesetzt wurde.
Am 20.09.1933 wurde er erneut verhaftet und wieder im Gerichtsgefängnis Hagen festgesetzt. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat – Kuhlmann hatte mit rund 50 anderen Schwerter Kommunisten versucht, die von den Nationalsozialisten verbotene KPD neu zu gründen – verurteilte ihn der II. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Hamm in der Sitzung vom 04. bis 06.06.1934 in Hagen zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis, wobei acht Monate und zwei Wochen der erlittenen Untersuchungshaft angerechnet wurden.
Nach seiner Verurteilung wurde er zur Steinwache Dortmund gebracht. Dort starb er etwa drei Wochen später. Der Regierungspäsident in Arnsberg urteilte in der Entschädigungssache wörtlich: Kuhlmann „ist als Mitglied der KPD ein entschiedener Gegner der NSDAP gewesen. Er hat auch nach 1933 den Kampf gegen das NS-Regime bis zu seiner Verhaftung fortgesetzt...“
Mit Karl Gerharts (SPD), Heinrich Drescher, Karl-Ludwig Tappe und Josef Senft (alle KPD) ist er der fünfte Schwerter, der aus politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt wurde und im Kampf gegen das NS-Terrorregime sein Leben ließ.
Als 1933 der 18-monatige physische und psychische Terror der braunen Horden über die Ruhrstadt hereinbrach, waren die beiden jüdischen Schwestern Lina und Berta Liebreich bereits betagte Damen. Sie betrieben an der Schulstraße in der Nähe des Marktplatzes einen Manufakturhandel.
Die beiden Schwestern Liebreich waren ledig und stammten ursprünglich aus Hennen. Ihre zwei Brüder starben im „Großen Krieg“ an der Front den „Heldentod“ wie viele andere deutsche junge Männer jüdischen Glaubens, die damals an der Front einen überproportional hohen Blutzoll entrichteten.
Während des Ersten Weltkriegs zeichneten Berta und Lina Liebreich für 30.000 Goldmark Kriegsanleihen. Die Zeichnung der Kriegsanleihen durch die jüdischen Geschwister ist weniger als Kriegsbegeisterung zu werten als vielmehr unter dem Gesichtspunkt von Integration in die Gesellschaft der Mehrheitsbevölkerung und Patriotismus.
Lina Liebreich starb Mitte der 30'er Jahre und wurde auf dem jüdischen Friedhof am Nordwall begraben. Und als sich einige Jahre nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten die Lage für die jüdischen Mitbürger/innen Schwertes bedrohlich zuspitzte, nutzten gute Freunde Berta Liebreichs ihre Kontakte zum Marienkrankenhaus und brachten die zwischenzeitlich schon gebrechlich gewordene alte Frau dort unter. Sie wurde dort sehr wahrscheinlich von den im späteren Pfarrhaus wohnenden Nonnen verborgen und starb während des Krieges eines natürlichen Todes.
Das Mutterhaus der Franziskanerinnen in Salzkotten bestätigt auf Anfrage, daß sich nach Angaben einer seinerzeit im Schwerter Krankenhaus beschäftigten Nonne einige Personen über einen längeren Zeitraum ebenfalls im Keller des Krankenhauses aufgehalten haben sollen.
Mit der sog. „Machtergreifung“ 1933 durch die Nationalsozialisten wurde der Schwerter Oskar Löwenstein aus seinem Beschäftigungsverhältnis bei einer Dortmunder Eisenwarengroßhandlung entlassen. Dort hatte er seit 1924 gearbeitet. Oskar Löwenstein war Volljude.
Bis Oktober 1938 war er arbeitslos, fand dann von November 1938 bis zu seiner kurzfristigen Inhaftierung Mitte Februar 1943 eine neue Arbeit bei dem Schwerter Unternehmen Anhängerbau Meierling an der Hagener Straße. Im April 1943 wurde Löwenstein nach seinen Angaben vor der Schwerter Polizei erneut festgenommen, in das Lager Rehmsdorf bei Zeitz deportiert und von dort aus in das KL Auschwitz. Von Auschwitz wurde er wieder zurückverlegt in das Lager Rehmsdorf. Nach einiger Zeit kam er von Rehmsdorf in das sog. Alten-KZ Theresienstadt. Nach der Befreiung durch die „Rote Armee“ wurde er am 20.06.1945 aus Theresienstadt entlassen.
Nach einer dem Kreis-Sonderhilfeausschuß des Landkreises Iserlohn vorliegenden Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. med. Wilhelm Lamschick starb Oskar Löwenstein am 32.08.1947 an einem Herzinfarkt. Der Arzt hatte bei ihm vorher einen Herzmuskelschaden bei Unterernährung und allgemeiner Körperschwäche diagnostiziert. Dieses Leiden müsse sich Löwenstein in den letzten Jahren vor seinem Tod, also offenbar im KZ-Lager zugezogen haben. „Der Tod steht in unmittelbarem ursächlichen Zusammenhang mit seiner Herzerkrankung.“
Löwenstein erwarb Ende 1945 eine Leihbücherei in Hamm und war seit Anfang 1946 Teilhaber am Unternehmen „Meierling und Löwenstein, Automobil- und Fahrzeugzubehör“. Er wurde am 17.07.1897 in Münster geboren. Seine Frau Elise wurde von der Gestapo schikaniert, mußte ständig zum Verhör und war im Dezember 1939 selber für 24 Stunden inhaftiert.
Es war kalt in jenem Februar 1942, bitterkalt. Minna Marcus hatte einen barschen Brief von der Polizei erhalten. Darin wurde sie aufgefordert, ihr Haus an der Westhofener Bahnhofstraße innerhalb von einer Woche zu räumen.
Minna Marcus schrieb einen ergreifenden Brief an den damaligen stellv. Westhofener Bürgermeister. Sie sei alt und krank. „Jetzt in der Kälte soll ich das Häuschen räumen, das mir vor rund 30 Jahren zur Heimat geworden ist?“ Sie müsse bei dieser Gelegenheit immer wieder betonen, sie gehe nicht gern aus Deutschland weg, „aber ich bemühe mich, weil das Gesetz es verlangt.“
In ihrem letzten Brief vor ihrer Deportation schrieb sie zum Schluß: „Verlangen Sie von mir jedes Opfer. Ich will gerne arme, aber saubere Leute aufnehmen. Aber lassen Sie mich doch bitte wohnen, bis ich fort kann.“
Nach den Anweisungen der NS-Leitung war das jedoch nicht möglich, denn im ganzen Reich wurden die Juden in sog. "Judenhäuser" verlegt.
Nach Auszug aus dem Häuschen lebten Minna Markus sowie ihr Mann Alex bis zu ihrer Deportation bei ihrer Schwester, Johanna Neugarten, dem Schwager Max sowie Nichte Hildegart und der Familie G. in der Wohnung der Familie Neugarten an der Marktstraße in Westhofen. In Westhofen war offensichtlich die Wohnung oder das Haus der Neugartens ein "Judenhaus". Westhofen war damals noch selbständige Stadt und Amtsgemeinde. Die Juden aus Schwerte wurden am Ende der Liethstraße in einer Holzbaracke zusammengezogen.
Minna Marcus ist im „Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter dem Nationalsozialismus 1933 bis 1945“ als „verschollen“ gemeldet. Sehr wahrscheinlich starb sie in einem Konzentrationslager.
Ihr Lebensweg verlief wie der ungezählter junger Frauen der damaligen Zeit. Mit 14 Jahren kam Minna Markus, die am 21.2.1888 im hessischen Trendelburg geboren wurde, zu fremden Menschen „in Stellung“. Sie war Hausangestellte, genauer Dienstmädchen bei „Herrschaften“. Als sie 23 Jahre alt war, wechselte sie zu den jüdischen Geschwistern Stern nach Westhofen. Zwei Jahre lang pflegte sie in Westhofen das „Fräulein Stern“, das ihr bei ihrem Tod 1 000 Mark vererbte. Dafür zeichnete Minna Marcus während des Ersten Weltkriegs Kriegsanleihen. Minna Markus verlor ihr ganzes Kapital, da diese Anleihen nach dem Krieg ihren Wert verloren hatten. Geblieben war ihr das Häuschen der Sterns, das sie nach deren Tod geerbt hatte.
Vor ihrer Heirat mit dem Viehhändler Alex Marcus – der Handel wurde ihm später untersagt - hatte sie in einem Haus an der Bahnhofstraße in Westhofen einen Textilhandel betrieben. Ende der 30'er Jahre wurde ihr der weitere Betrieb verboten.
Alex Marcus, geb. 05.07.1876, wurde ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und wird in den Akten des Bundesarchivs als „vermißt“ geführt. Minna Marcus' Schwester, Johanna Neugarten, ihr Schwager Max Neugarten (geb. 1891) sowie ihre Nichte Hildegard (geb. 1923), die bis 1937 die Westhofener Volksschule besuchte, wurden 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Als der Metzgermeister David Meyer sich 1938 entschloss, gemeinsam mit seiner Frau sein Haus am Markt 7 zu verkaufen und von Schwerte nach Köln zu ziehen, bemühte sich der Sohn Dr. jur. Heinz Meyer lange vergeblich, einen Käufer zu finden. Schließlich überredete er seinen langjährigen Freund, den Frisörmeister Julius Schöttler von der Westenstraße, das Haus zu erwerben.
Der vereinbarte Kaufpreis von 6.000 Mark war mehr als ausreichend mit Rücksicht auf das Alter und den Zustand des Hauses, schrieb Dr. Henry Meyer am 15.09.1951 aus Massachusetts an das Wiedergutmachtungsamt beim Landgericht Hagen. Das Geld sei prompt ausgezahlt worden und er habe die Summe in voller Höhe dafür verwandt, seinen Vater in einem jüdischen Kölner Krankenhaus unterzubringen, seine Mutter in einem Kölner Altenheim und den Restbetrag für seine eigene Auswanderung in die USA bzw. die seiner Schwester Hildegard nach Indien.
Er habe Schöttler bereits vor Jahren – ohne dass dieser ihn darum gebeten habe – geschrieben, dass er keinerlei Rückerstattungsansprüche habe.
Zu Weihnachten 1947 hatte Meyer seinem alten "Kumpel" Schöttler u.a. geschrieben:
„Ich werde es Dir nie vergessen, daß Du noch bis zuletzt meinen verstorbenen Vater bedient hast, als er jahrelang ans Haus gefesselt war. Dafür danke ich Dir noch heute. Und auch mir hast Du die alte Freundschaft erhalten zu einem Zeitpunkt, als es anderen ratsamer schien, mich nicht mehr zu kennen....
Hoffentlich hast Du nie Schwierigkeiten gehabt, daß Du unser Haus gekauft hast... Wenn es erforderlich ist, will ich Dir jederzeit bescheinigen, daß Du unser Haus auf unsere freien Bitten hin und ohne Zwang zu dem von uns geforderten Kaufpreis ehrlich erworben hast....
Sei nochmals versichert, daß ich mich immer freuen werde, von Euch allen zu hören. Wenn ich im Geist die Westenstraße oder die Hagener Straße heruntergehe, möchte ich am liebsten nach jedem Namen fragen, der mir in den Sinn kommt: Metzger Steinweg und Brüder Elme Bucker, Hosangs, Ellelringmann, Heufemann von der Bank und viele andere. Würdest Du wohl mal Wilhelm Zenses und Clör von mir grüßen, deren Namen ich mit Freude im Schwerter Sportblatt entdeckt habe. Für Deine Angehörigen beste Grüße, für Dich selbst aber einen besonders herzlichen Gruß von Deinem alten Sportkameraden und Nachbarn.“
Julius Mildenberg, der an der Jägerstraße 1 ein Kolonialwarengeschäft betrieb, floh etwa 1938 vor der nationalsozialistischen Verfolgung auf abenteuerlichen Wegen über Belgien nach Brasilien. Da er aber die Landessprache nicht oder allenfalls äußert unzureichend beherrschte, hatte er Probleme, dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Am 03.06.1948 stellte er aus Sao Paulo einen Wiedergutmachungsantrag an das Zentralamt für Vermögensverwaltung in Bad Nenndorf (britische Zone). Darin schildert er seine erbärmliche, materielle Situation:
„Heute“, schrieb er, „komme ich mit der dringenden Bitte, mein Gesuch bevorzugt zu behandeln.“ Er sei 71 Jahre alt, absolut nicht mehr erwerbsfähig und völlig mittellos. Bisher habe er von geringen finanziellen Zuwendungen seiner Verwandten gelebt. Auf diese geringfügige Unterstützung müsse er nun wegen Krankheit und Sterbefall in der Verwandtschaft verzichten.
„Ich persönlich bin durch die damalige Zerstörung meines Vermögens und durch die Tortour des Konzentrationslagers körperlich zerrüttet, weshalb ich Sie dringend bitte, meine Sache bevorzugt zu bearbeiten, damit ich noch etwas von der Wiedergutmachung habe.“
Diese Darstellung wird von seinem Neffen, Walter Neublum, der mit seiner Mutter Johanna von Schwerte ebenfalls nach Sao Paulo emigrierte, in einer eidesstattlichen Versicherung bestätigt. Mildenberg sei in der ersten Zeit durch die Kongregation Israelita Paulista finanziell unter die Arme gegriffen worden. Zwölf Jahre lang habe er, der Neffe, den gesamten Lebensunterhalt seines Onkels und auch seiner Mutter bestritten.
Mildenberg, der am 12.06.1878 in Schwerte geboren wurde, mußte 9.400 RM „Judenbuße“ zahlen. Die deutschen Juden wurden nach der sog. „Reichskristallnacht“ durch die Verordnung vom 12.11.1939 zur „Zahlung einer Kontribution von 1.000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich verpflichtet. Sie hatten alle Schäden, die während des Pogroms an ihren Betrieben und Wohnungen entstanden waren, sofort zu beheben. Die Kosten für den Ersatz zerschlagener Schaufenster und für die Reparatur der Geschäftseinrichtungen hatten die „Inhaber der betroffenen Betriebe“ selbst zu tragen. Alle Versicherungsansprüche der Juden wurden zugunsten des Reiches beschlagnahmt. Darüber hinaus mußte Mildenberg vor seiner Emigration 12.264 „Reichsfluchtsteuer“ zahlen. Für den Betrag von 11.000 RM, den er bei der Golddiskobank entrichtete, erhielt er unter Abzug von 94 Prozent durch die Bank 733,33 uruguaysche Pesos bzw. das Visum.
Sein Haus an der Jägerstraße wurde bei einem Bombenangriff völlig zerstört.
Moritz Mosbach war Kaufmann und unterhielt an der Hüsingstraße 6 den „Haushaltungsbazar, Inh. Moritz Mosbach“. Ältere Schwerter erinnern sich, daß es sich um einen großen, langgestreckten, dunklen Laden handelte, in dem sie als Kinder Kleinigkeiten einkauften.
Nach den Unterlagen der Stadtverwaltung verzog das Ehepaar am 17.12.1936 von Schwerte nach Haaren bei Paderborn, heute Gemeinde Wünnenberg. Dort wohnten sie, wie der Paderborner Stadthistoriker Jost Wedekin recherchierte, im Hause des Synagogenvorstehers Haaren 97. Am 28.07.1942 wurde das Ehepaar Mosbach von Haaren nach Theresienstadt deportiert und von dort weiter in ein anderes Vernichtungslager.
Moritz Mosbach (* 07.03.1871) wird im „Gedenkbuch der Opfer der Verfolgung der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft“ in Minsk als „vermißt“ geführt, seine Frau Helene (* 02.11.1873) als in Theresienstadt vermißt.
Moritz und Helene Mosbach hatten fünf Kinder: die Zwillinge Alfred und Hugo, beide am 27.12.1904 in Schwerte geboren, Walter, der in Heidelberg studierte, Töchterchen Edith wurde in Haaren geboren und starb dort mit einem knappen Jahr sowie Emmi (* 04.02.1902 in Schwerte). Der Sohn Alfred Mosbach verzog am 14.12.1936 von Haaren nach Hallenberg (Sauerland) und am 04.02.01938 von Berlin-Charlottenburg zurück nach Haaren. Er starb im Konzentrationslager Sobibor.
Moritz Mosbachs Bruder Louis (* 04.11.1874) , ebenso wie Moritz aus Hohenlimburg gebürtig, verzog bereits im Oktober 1923 von Schwerte nach Hannover. Er wurde nach den Akten des Bundesarchivs bzw. der Opferliste von Yad Vashem für tot erklärt, vermutlich mit Wirkung vom 08.05.1945.
Moritz und Helene Mosbachs Tochter Emmi wurde am 04.02.1902 in Schwerte geboren. Sie heiratete später einen Dr. Walter Pollatschek, wohnte zunächst in Frankfurt und dann in Berlin-Adlershof, Volkswohlstraße 118. Emmi Pollatschek stellte für Einrichtung, Lager, Warenbestand und Barvermögen des Schwerter Unternehmens sowie für den Privatbesitz Moritz und Helene Mosbach, Hüsingstraße 6, später Haaren einen Wiedergutmachungsantrag.
Im Vordruck für das Zentralamt für Vermögensverwaltung in Bad Nenndorf heiß es u.a. „Die Geschädigten Moritz und Helene Mosbach, Eltern der Antragstellerin, wurden als Juden zum Ausverkauf ihres Geschäftes gezwungen, der einem Verschleudern gleichkam. Sie selbst wurden deportiert und sind verschollen. Ihr Besitz ist spurlos verschwunden.“
Hans Neuwahl wurde am 08.06.1921 in Schwerte geboren. Seine Eltern waren Siegfried und Wilhelmine Neuwahl, die an der Hüsingstraße ein Textilgeschäft betrieben. Sie mussten ihr Geschäft am 01.12.1938 schließen.
Einige Tage nach der Progromnacht am 09.11.1938 wurde Hans Neuwahl festgenommen und bis zum 04.12.1938 in „Schutzhaft" gehalten. Bei seinem späteren Versuch, gemeinsam mit seinem Freund Isaak Winter in die Niederlande zu entkommen, wurde er an der Grenze in Elten festgenommen und nach Emmerich ins Gefängnis eingeliefert, aus dem er am 15.01.1939 entlassen wurde.
Ihm wurde zur Auflage gemacht, sich bei der Polizei in Düsseldorf zu melden. Dort wurde er erneut verhaftet und für etwa drei Wochen in das KZ Buchenwald deportiert. Dem jungen Mann gelang es am 06.02.1939 nach England zu emigrieren. Von England aus ging er nach Australien, änderte seinen Namen in John Newall und baute sich ein neues Leben auf. Seine letzte Adresse in Australien war 51, Como Street, Alphington (Vic.), Melbourne.
Seine Eltern, Wilhelmine und Siegfried Neuwahl (geb. 18.12.1893), wurden am 28.04.1942 verhaftet und „zwangsverschickt“. Das Victoria Search Bureau Melbourne teilte den Ermittlungsbehörden seinerzeit mit, das Ehepaar sei sehr wahrscheinlich in ein KZ nach Polen deportiert worden. Beide sind verschollen. Da ein Todesnachweis nicht vorliegt, gelten Wilhelmine und Siegfried Neuwahl seit dem 08.05.1945 als verstorben.
Ilse Renzing lebte bei ihren Großeltern im Wannebachtal in Holzen. Ihre Mutter soll wie die Schwerterin Margret Schulte erzählt: "eine "Lebedame, der Schwerte und Holzen zu eng war und sich lieber in der Welt rumtrieb, gewesen sein". Sie kümmerte sich nicht um ihre Tochter, schickte ihr aber regelmäßig Geld. Über ihren Vater hat sie nicht gesprochen.
Ilse arbeitete im Meisterbüro der "Gutehoffnungshütte" früher Firma Ludwig Möhling, eine Nietenfabrik. Ingo Hintze, der über den Ausländereinsatz auf der Gutehoffnungshütte promovierte, erzählt: "Die Gutehoffnungshütte Schwerte war eine Unterabteilung der Gutehoffhungshütte Oberhausen. Vordringliche Aufträge waren Rüstungsaufträge. Wenn auch die Abteilung Schwerte im Gesamtuntemehmen GHN mit insgesamt 173 Beschäftigten am Geschäftsjahresende 1941/42 keine große Rolle spielte, konnte doch in Schwerte eine Erhöhung der Erzeugungszahlen nur aufgrund des Einsatzes von Fremdarbeitern Gewinne fahren."
Am Geschäftsende 1942/43 waren 50 Ostarbeiterinnen, 43 Ostarbeiter sowie sieben weitere Ausländer bei der Abteilung Schwerte beschäftigt. Einer dieser sieben Ausländer war ein junger Franzose. Der sah im Büro vom Meister Prinz eine junge Schreibkraft und schrieb ihr Briefchen.
Ich kannte eine Halbjüdin
"Ich kannte eine Halbjüdin, Ilse Renzing", erinnert sich Frau Schulte. "Sie war älter als ich, so um die 25 Jahre. Im Meisterbüro unter Meister Prinz war sie Schreibkraft. Ich war im technischen Büro angestellt und habe vieles mitbekommen. Wenn ich am Sonntag Telefondienst hatte, dann besuchte sie mich. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihr und war so etwas wie ihre Vertraute. Sonntags hat sie sich manchmal mit einem jungen Franzosen im Ohl getroffen. Sie war ein anständiges Mädchen. Oft weinte sie, weil sie ständig in der Angst lebte, abgeholt zu werden. Nicht nur einmal sagte sie : Sollen Sie mal sehen, ich komm auch noch dran oder Das überleb ich nicht!
Es muss im Jahr 1943 oder 1944 gewesen sein, als der Geschäftsfiihrer Ilses Spint aufgebrochen hat. Es wurden Briefchen gefunden. Der Geschäftsführer hat sofort Herrn Braun von der Kripo angerufen. Dann mussten wir raus.
Am nächsten Morgen habe ich erfahren, dass sie noch nachmittags abgeholt worden ist und sich in der gleichen Nacht in der Arrestzelle erhängt hat.
Ich war so fertig. Sie war so ein hübsches Mädchen und nur weil sie mit einem Franzosen befreundet war, wurde sie verhaftet oder lag es vielleicht daran, dass sie eine Halbjüdin war?"
Ilse Renzing hatte Recht. Sie hat nicht überlebt.
von Hille Schulze-Zumhülsen
Der Arbeitskreis Schwerter Frauengeschichte(n) möchte für Ilse Renzing einen Stolperstein finanzieren. Dazu werden das Geburtsdatum und die damalige Adresse von Ilse Renzing benötigt.
Bitte melden bei:
Hille Schulze-Zumhülsen
Tel.: 0 23 04 / 8 25 00
Mail: frauengeschichten(at)schwerte.de
Unter „Jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Westfalen“ informiert das Internet auch über Hans Rudolph Rodenberg. „Schauspieler, Regisseur, Intendant“, heißt es dort über ihn, der in Schwerte die jüdische Schule, dann für einige Jahre das Gymnasium besuchte und es später bis zum Leiter der DEFA-Studios für Spielfilme, Professor für Dramaturgie an der Hochschule für Filmkunst sowie stellv. Minister für Kultur der früheren DDR brachte.
Hans Rosenberg (als Künstler änderte er seinen Namen in Rodenberg) wurde am 02.10.1895 in Lübbecke geboren. Nach dem Tode seiner Mutter zog er mit seinem Vater Nathan Rosenberg etwa 1902 nach Schwerte. Dort kamen auch seine Halbbrüder Ewald (1902) und Karl (1906) zur Welt, Nathan Rosenbergs Söhne aus zweiter Ehe mit Hedwig Rosenberg, geb. Frankenstein.
In „Protokoll eines Lebens“, einem seiner Bücher, schildert Rodenberg im ersten Kapitel unter der Überschrift „Lübbecke – Schwerte – Berlin“ in einer kurzen Passage seine Zeit in Schwerte, den Schulbesuch mit grüner Schülermütze, Silberstreifen und schwarzem Lackschild. Er skizziert Lehrer, die er mochte und einen, der mit seiner Zinnsoldatensammlung die Schlachten der preußischen Kriege nachstellte.
Als Nathan Rosenberg starb, ging seine Witwe Hedwig mit den drei Söhnen nach Berlin. Hans Rudolph Rodenberg besuchte dort von 1912 bis 1914 die Schauspielschule des Deutschen Theaters und war nach dem Ersten Weltkrieg als Schauspieler und Regisseur in Hamburg, Wien, Zürich, Köln und Berlin tätig. 1922/23 wurde er Mitglied der „Stegreifbühne“ von Jakob Levy Moreno im 1. Wiener Bezirk mit Peter Lorre und Georg Kulka, 1927 trat er der KPD bei und ging 1932 im Auftrage des Zentralkomitees der KPD in die UdSSR, wo er das Dritte Reich überlebte. Er war bis 1935 stellv. Direktor eines Filmstudios in Moskau, wurde dann Sprecher, Regisseur und Autor beim Moskauer Rundfunk. Drei Jahre nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück. Er starb am 07.03.1978 in Berlin.
Hedwig Rosenberg, die Stiefmutter von Hans Rudolf Rodenberg, wurde im Alter von 73 Jahren mit dem 63. Altentransport 1943 von Berlin nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte.
Ihr älterer Sohn Ewald wurde am 18.05.1942, nach dem Anschlag der Widerstandsgruppe Herbert Baum auf die Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ zusammen mit etwa 400 Berliner Juden auf Anweisung von Reichspropagandaminister Dr. Josef Goebbels inhaftiert und nach Sachsenhausen verschleppt. Nach dem Attentat auf Heydrich (27.05.1942) wurden als Vergeltung in Sachsenhausen am 28.05.1942 insgesamt 150 Juden erschossen, unter ihnen Ewald Rosenberg. Ewalds Frau Gretel starb in Auschwitz.
Der zweite Halbbruder, Karl Rosenberg, wurde über andere Haftstationen nach Auschwitz deportiert und kam dort am 04.04.1943 um. Seine Ehefrau überlebte und starb nach dem Krieg in einem Londoner Altenheim.
Noch unmittelbar vor Kriegsende wurden von den Nazi-Schergen Menschen brutal und bestialisch ermordet. Während an den Widerstandskämpfer und früheren SPD-Stadtverordneten Karl Gerharts der Straßenname erinnert, wurde bis heute ein Mann – fast – vergessen, der unter den Nationalsozialisten für die Verfolgung seiner politischen Ziele sein Leben lassen musste: Josef August Senft. Er gehört zu den Opfern der Morde, die die Gestapo unmittelbar vor Beendigung des Krieges im Rombergpark verübte. Jährlich am Karfreitag wird der Toten am Mahnmal Bittermark gedacht.
Josef August Senft wohnte in der Märkischen Straße, hielt sich aber gegen Kriegsende zumindest teilweise in der Wohnung von Bekannten oder Verwandten am Markt auf, vermutlich um sich zu verstecken. Sehr wahrscheinlich auch fühlte er sich in der Nähe seiner Parteigenossen, die im gleichen Haus und in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnten, sicherer. Zeitzeugen erinnern sich an den Mann, der häufiger weinend auf den Treppenstufen seines Wohnhauses saß und von dem es hinter vorgehaltener Hand hieß, er werde „einen Kopf kürzer gemacht.“
Senft, geb. am 04.03.1904, ledig, war 1934 unter den 52 Angeklagten im Hammer bzw. Hagener Hochverratsprozeß. Ihm wurde in diesem Prozeß unter anderem vorgeworfen, an konspirativen Treffen der verbotenen KPD am Grüntaler Teich und an der Eisenbahnstrecke teilgenommen sowie 1.000 Exemplare des Flugblattes „Im Zeichen des Kreuzes“ teilweise verteilt zu haben. Diese für die Nazis „hochverräterische Druckschrift“ war von zwei Radfahrern bei Nacht und Nebel von Hagen nach Schwerte gebracht worden.
Senft war nach Feststellungen des Gerichts bereits vor der „Machtergreifung“ KPD-Mitglied und kein „unbeschriebenes Blatt“. Er war „einschlägig“ vorbestraft, u.a. wegen schweren Hausfriedensbruchs mit einem Jahr und vier Monaten Zuchthaus und ein anderes Mal aufgefallen, als er unter Alkoholeinfluß auf der Straße „Heil Moskau“ gerufen hatte.
Der II Strafsenat des OLG Hamm verurteilte Senft im Juni 1934 zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis.
Die von der Schwerter Polizei in einem Brief an den damaligen Iserlohner Landrat als „schwierig“ und „umfangreich“ bezeichneten, teilweise bis in die Nacht andauernden Vernehmungen der festgenommenen Kommunisten werden von Lore Junge in ihrem Buch über die Rombergparkmorde präzisiert. Danach wurde Senft mit den übrigen Festgenommenen ins Schwerter Rathaus, Sitz der Polizei, geschleppt, wo sie Spießruten laufen mussten und auf andere Weise mißhandelt wurden.
Nach seiner Haftentlassung schloss sich Senft erneut dem kommunistischen Widerstand an. Anfang März 1945 wurde er von der Gestapo festgenommen und um die Osterzeit umgebracht. Seine Leiche konnte nicht identifiziert werden.
Abraham Stein, genannt Albert, war Inhaber des Textilhauses Hüsingstraße 28, heute Askania. Stein war aufgrund der damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland gezwungen, sein Haus zu verkaufen.
Stein, geb. 1875 in Neuss, war verheiratet mit Hortense, einer geborenen Levy. Sie wurde am 23.01.1888 ebenfalls in Neuss geboren. Von Schwerte aus ging das Ehepaar Stein nach Essen. Einen Tag vor Weihnachten 1940, am 23.12.starb Stein in der Ruhrmetropole. Seine Frau Hortense wurde am 15.07.1942 von Essen in ein KZ deportiert und ist seitdem verschollen.
Mitinhaber des Textilgeschäftes Stein war Robert Herz, der die Stein-Tochter Charlotte heiratete. Robert und Charlotte flohen nach Rio de Janeiro. Von dort aus stelle Charlotte einen Wiedergutmachungsantrag.
Dr. Herbert Sternberg war „Schwerter Junge“. Er erblickte am 25.07.1907 in der Ruhrstadt das Licht der Welt. Nach dem Studium ließ er sich im Jahre 1931 in Schwerte als Zahnarzt nieder.
Sternberg war ein angesehener Arzt, die Praxis entwickelte sich zunächst zufriedenstellend - bis zur sog. „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten, übrigens ein von NS-Propagandaminister Dr. Josef Goebbels geprägter Begriff. Mit der Machtübernahme wurde Sternberg am 29.03.1933 in „Schutzhaft“ genommen, aus der er aber nach zwei Tagen, am 31. des Monats, wieder entlassen wurde.
Um weiteren Verfolgungsmaßnahmen durch die Nationalsozialisten zu entgehen, kehrte Sternberg seiner Heimatstadt im Mai 1933 den Rücken und gelangte im Dezember 1933 über Holland und Frankreich gemeinsam mit seinem Bruder Ernst Sternberg nach Brasilien. Dort wohnte er in Rio de Janeiro an der Av. Copacabana 540. Durch die entsprechenden Einwanderungs- bzw. Arbeitsbestimmungen allerdings war es ihm nicht möglich, in Rio eine Praxis zu gründen. Er musste sich seinen Lebensunterhalt notdürftig durch illegale Arbeit als Zahnarzt verdienen. Durch Denunziationen und Erpressungen war er mehrfach gezwungen, seinen Arbeitsplatz zu wechseln.
Erst durch die neue brasilianische Landesverfassung konnte er nach 1950 die notwendigen Prüfungen ablegen, um sich dann nach zweijähriger Vorbereitungszeit am 23.12.1953 in Rio offiziell als Zahnarzt niederzulassen.
Nach 1941 war den Juden die Emigration verboten. Etwa ein knappes Jahr vorher, am 07.03.1941, gelang es dem Viehhändler Hugo Sternberg aus der Wilhelmstraße 13, mit seiner Frau Lucie und Tochter Hedwig ins Ausland zu entkommen. Hilfestellung bei der Flucht leistete der Schwerter Lutz Viehbahn von der Hagener Straße.
Vor der Emigration mußten die Sternbergs ihre Wohnungseinrichtung zu einem Spottpreis verkaufen. Ihre abenteuerliche Flucht führte über Rußland nach China, wo sie in Shanghei Unterschlupf fanden, aber von den Japanern in das von ihnen eingerichtete Ghetto eingewiesen wurden. Zwar wurde dieses Ghetto im August 1945 aufgehoben. Dennoch mußten sie weiter im Ghetto bleiben, weil sie erst im Januar 1948 die Möglichkeit zur Einreise in die USA erhielten. Dort pachtete Sternberg eine Rinderfarm.
In Schwerte hatte er einen gut laufenden Viehhandel betrieben. Nach 1933 aber waren die Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb rückläufig, 1938 wurde ihm die Handelserlaubnis entzogen.
Während der Progromnacht am 9. November 1938 wurde Sternberg verhaftet, in das KZ Oranienburg eingeliefert, am 16. Dezember des gleichen Jahren aber wieder entlassen. Nach seiner Haftentlassung wurde er als Hilfsarbeiter zwangsverpflichtet.
Der letzte Wohnsitz der Sternbergs war in New Hampton, NY., (USA), Lime Kiln Farm.
Als die beiden Brüder Dr. Herbert Sternberg und Ernst Sternberg 1933 von Schwerte nach Brasilien emigrierten, blieb die Mutter Ida Sternberg allein in der Sechs-Zimmerwohnung der ersten Etage des eigenen Hauses an der Bahnhofstraße 12 zurück. Fünf oder sechs Jahre später, im Jahre 1938 oder 1939, folgte sie den beiden Söhnen nach Rio de Janeiro.
Die Familie Sternberg war wohlhabend, die Wohnung u.a. mit einer großen Bibliothek sehr gut ausgestattet. Kostbares Porzellan, wie beispielsweise ein Rosenthaler Ess-Service für 36 Personen, komplettierte den bürgerlichen Haushalt. Bei ihrer Ankunft in Brasilen hatte Ida Sternberg Silberbestecke, Porzellan, Wäsche und sonstige persönliche Gegenstände im Gepäck. Sie starb 1951 im Alter von 75 Jahren in Rio.
Die wertvolle Wohnungseinrichtung der Sternbergs wurde verschleudert. Erfahrungsgemäß wurde bei verfolgungsbedingten Verschleuderungsverkäufen nach der Progromnacht 1938 ein Verkaufserlös erzielt, der bei etwa einem Viertel des Verkehrswertes lag.
Ernst Sternberg kehrte nach Beendigung des Krieges wieder nach Deutschland zurück. Er wohnte in der Meißener Straße 57 in Dortmund.
Im Sommer des Jahre 1942, am 27. Juli, pochte die Gestapo an die Haustür des Viehhändlers Emil Sternberg, Sedanstraße 5 (Eintrachtstraße). Mit Emil Sternberg (79), seiner Frau Rika (66) und Tochter Margarete (43) wurden „abgeholt“: Emma Spiegel, geb. Sternberg (40) ), der Viehhändler Isidor Spiegel (46), deren Kinder, die 15jährige Edith Spiegel und der zwölfjährige Richard Siegfried Spiegel.
Sie wurden nach einer eidesstattlichen Versicherung der Sternberg-Tochter Elisabeth Cohen sowie des Leiters des damaligen Schwerter Bankvereins Ernst Heuvemann in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und kehrten nicht mehr zurück. Alle wurden durch Beschluß des Amtsgerichtes Schwerte vom 04.02.1949 für tot erklärt. Die jüngere Tochter des Ehepaars Sternberg, Elisabeth Cohen (geb. 14.11.1897 in Schwerte), war mit ihrem Ehemann bereits im Dezember 1938 nach Holland emigriert. Dort wohnte sie in Oegstgeest bei Leiden, Emmalaan 52.
Wie Elisabeth Cohen von Augenzeugen berichtet wurde und wie sie vor dem Amt für Wiedergutmachung geltend machte, mußten ihre Eltern bei der Deportation ihr gesamtes Hab und Gut im Stich lassen. Das Haus sei restlos ausgeplündert und die Zimmer zwangsweise vermietet worden. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten habe sich, so Elisabeth Cohen weiter, der Erlös aus der von ihrem Vater betriebenen Viehhandlung so verringert, daß er gezwungen gewesen sei, das Geschäft im Jahre 1937 zu liquidieren.
Ihrem Vater sei es aber noch gelungen, einen Geldbetrag von 60.000 Reichsmark vor der Entziehung durch die damaligen Machthaber insofern zu retten, als er diesen Betrag einem Otto Op den Winkel zu treuen Händen übergeben habe. Otto op den Winkel habe von diesem Betrag je 5.000 RM auf Sparkonten seiner vier Kinder eingezahlt, den Restbetrag von 40.000 RM versteckt. Nach dem Krieg habe er die Sparkassenbücher und den Barbetrag an ihren Bevollmächtigten ausgehändigt, der den Betrag dann wiederum bei der Sparkasse in Schwerte auf ein Sparkonto „Emil Sternberg“ anlegte. Durch die Währungsreform 1948 erhielt Elisabeth Cohen aber nur einen Bruchteil der Summe ausgehändigt. „Der spätere Währungsschaden ist nicht verfolgungseigentümlich“ entschied das Amt für Wiedergutmachung und könne daher „in diesem Verfahren keine Berücksichtigung finden.“
Hermann und Emilie Sternheim waren 69 bzw. 60 Jahre alt, als sie 1942 von der Gestapo Dortmund deportiert wurden. Hermann Sternheim war Viehhändler und wohnte mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Richard und Gerd an der Bahnhofstraße 8.
Emilie Sternheim, geb. Weinberg, kam zunächst in das KZ Sachsenhausen. "Später", so der Ermittlungsbericht des OKD Iserlohn, „ist sie dann in einem Vernichtungslager ums Leben gekommen.“ Sie wurde mit Wirkung vom 08.05.1945 für tot erklärt. Hermann Sternheim wurde in das KZ Theresienstadt eingeliefert. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Auch er wurde durch Beschluss des Amtsgerichtes Schwerte für tot erklärt.
Der Sohn Richard Sternheim wurde 1912 in Schwerte geboren. Er besuchte bis 1930 die Volksschule, anschließend das Realgymnasium in Schwerte. Im Jahre 1934 wurde er, weil er Jude war, gezwungen, die Schwerter Schule zu verlassen, ging bis 1935 zur Handelsschule in Dortmund und begann eine dreijährige Lehre bei der Firma Nathan und Gompertz in Emmerich. Im April 1936 wurde diese Firma „arisiert“ und Richard, weil er der jüdischen Gemeinschaft angehörte, entlassen. Der junge Mann versuchte daraufhin sein Glück als Landwirt in der Nähe von Breslau und wanderte dann 1938 in die USA aus. Dort war er zunächst als Küchenhelfer, später als Koch tätig.
Sein Bruder Gerd (geb. 1915 in Schwerte) emigrierte ebenfalls in die USA. Beide Brüder wohnten in New York. Gerd nannte sich in den Staaten Gerald. Beide Brüder nahmen 1944 die amerikanische Staatsangehörigkeit an.
Am 28.04.1938 wurde von der NS-Regierung die Registrierung aller jüdischen Vermögenswerte durch die Oberfinanzdirektionen verfügt. Die „Entjudung“ der Wirtschaft hatte damit eingesetzt. Weitere Forderungen des gewerblichen Mittelstandes wurden durch die Änderung der Gewerbeordnung erfüllt, lästige jüdische Konkurrenz ausgeschaltet. Viehhändler, Hausierer, Schausteller erhielten Berufsverbot.
Buenos Aires, 30.09.1958 - Sanatorium Albertal. Pauline Oppenheimer, geb. Sternheim (65) ist krank und kann in den Amtsräumen der Bundesrepublik Deutschland in Buenos Aires nicht erscheinen. In einer Erbschaftsangelegenheit nimmt Legationsrat Dr. Werner Schattmann deswegen ein „Protokoll“ im Sanatorium auf.
In nüchterner, bürokratischer Sprache hält der Vertreter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ein unvorstellbares, schreckliches Schicksal schriftlich fest. Es ist ein Protokoll des Grauens. Pauline Oppenheimer wurde am 08.12.1893 in Ergste geboren. Ihr Bruder Leopold Sternheim, ebenfalls aus Ergste, Offerbachstraße 10, wurde deportiert und umgebracht. Er war mit Emma Sternheim, geb. Oppenheimer (21.03.1890) verheiratet, die von den braunen Machthabern ebenfalls in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden, wie auch die drei Kinder Hans (28.08.1912), Edith und Ursel Sternheim (29.07.1922).
Legationsrat Dr. Werner Schattmann notiert weiter: "Leopold Sternheim hatte neben Pauline Oppenheimer noch folgende Geschwister: Hermann Sternheim. Er wurde deportiert und ist umgekommen. Irma Kohnen, geb. Sternheim. Sie wurde deportiert und ist umgekommen. Else de Vries, geb. Sternheim. Sie wurde deportiert und ist umgekommen."
Die vier Kinder von Else de Vries - Erwin, Irma, Paula und Netti - wurden ebenfalls in ein Todeslager deportiert und ermordet. Eine weitere Schwester von Leopold Sternheim, Grete Kunzendörfer, geb. Sternheim, "wurde zusammen mit ihrem einzigen Sohn deportiert. Beide sind umgekommen.“
Pauline Oppenheimer entkam dem Holocaust. Sie starb, fern dem heimatlichen Ergste, in Buenos Aires. Das Leben von dreizehn Menschen, Verwandte, Brüder, Schwestern, Nichten, Neffen und Schwägerin wurde ausgelöscht.
Der jüdische Kaufmann Max Strauß, geb. 1876, war um 1900 gemeinsam mit seiner Ehefrau Goldine (geb. 1880) nach Schwerte gekommen und seit jener Zeit Inhaber des bekannten Schuhgeschäftes D. Herz Nachf. an der Hüsingstraße.
In der Ruhrstadt kamen auch seine beiden Söhne Lothar (1905) und Kurt (1906) zur Welt. Die Familie wohnte in der damaligen Hohenzollernstraße 5 (Karl-Gerharts-Straße).
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war Vater Max Strauß gezwungen, sein bekanntes Geschäft, in dem Lothar Anfang der 30er Jahre als Geschäftsführer arbeitete, zu verkaufen. Lothar emigrierte am 19.03.1934 nach Tilburg (Holland). Dort gründete er eine Pantoffelfabrik, die allerdings bereits kurze Zeit später in Konkurs ging. Seinen Lebensunterhalt bestritt er anschließend als Wandergewerbetreiber.
Das Ehepaar Strauß versuchte zunächst mit Sohn Kurt, in der Anonymität der benachbarten Großstadt Dortmund unterzutauchen, wo es zuletzt in der Markgrafenstraße 163 gemeldet war. Von dort aus emigrierte die Familie nach Amsterdam. Sie wohnte dort in der Jeckersstraße 18.
Am 14.09.1942 wurde das Ehepaar nach der Personalliste des Lagers Westerbork (bei Arnheim) mit einem sogenannten Judentransport aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert. Seit diesem Zeitpunkt fehlt jede Spur.
Vom Amtsgericht Schwerte wurden Max und Goldine Strauß mit Wirkung vom 17.09.1942 für tot erklärt. Lothar Strauß wurde am 17.08.1942 ebenfalls von Westerbork nach Auschwitz verbracht. Nach Ermittlungen des Niederländischen Roten Kreuzes sind alle Personen dieses Transportes bis auf wenige Ausnahmen im Laufe des Monats September durch Krankheit, Erschöpfung oder Vergasung gestorben. Lothar wurde mit Wirkung vom 30.09.1942 für tot erklärt.
Der Bruder Kurt entkam den Häschern auf nicht bekanntem Wege. Er lebte Ende der 50'er Jahre in New York, 25 N. Y., 255 West, 98th Street.
Über sechs Jahrzehnte hielten sich in der Ruhrstadt hartnäckige Vermutungen und Befürchtungen über das Schicksal des Schwerters Ludwig Tappe. Sie konnten schließlich durch die Akten des Bundesarchivs Berlin bestätigt werden: Ludwig Tappe bezahlte seine politische Gegnerschaft zur Nazi-Diktatur mit seinem Leben. Er wurde im Sommer 1943 vor dem Volksgerichtshof Berlin wegen Hoch- und Landesverrat sowie Feindbegünstigung angeklagt und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde im Oktober des Jahres in Brandenburg an der Havel vollstreckt.
Ludwig Tappe hatte zwei sowjetrussischen Kriegsgefangenen auf der Straße eine kleine Blechschachtel mit einem unter Tabak und Zigarettenblättchen versteckten Zettel zugeschoben. Darauf stand – an die Adresse der Russen gerichtet – u.a. „Verliert nicht die Kräfte und verliert auch nicht den Mut. Schont die Kräfte zum letzten Kampf. Bis zu unserer Befreiung sind nur noch gezählte Tage.“ Die beiden Russen übergaben diesen Zettel jedoch später ihrem Aufseher und der Stein kam ins Rollen. Tappe wurde verhaftet und angeklagt. Die Richter am Volksgerichtshof Berlin werteten die Notiz in ihrer Urteilsbegründung dahingehend, Tappe habe den Kriegsgefangenen seine kommunistische Gesinnung mitteilen, sie über die seiner Ansicht nach bevorstehende Niederlage Deutschlands aufklären und für den von ihm erwarteten letzten Kampf zum Sieg des Bolschewismus in Deutschland vorbereiten wollen.
Bei der von Tappe verfassten „Hetzschrift“ (O-Ton Gericht) handelte es sich um einen längeren Text. Auszugsweise heißt es darin mit Blick auf den Frontverlauf 1943: „Es nähert sich die Stunde der Vergeltung über den blutigen Faschismus...Unser Heer (die „Rote Armee“, der Verf.) marschiert erfolgreich vorwärts...Die Front steht so: Leningrad, Wilikije-Luki, Kursk, Rostow. Vom Kaukasus sind die Deutschen schon vertrieben...Genossen, ballen wir fest die Hände und warten wir auf die Stunde unserer Befreiung, die näher und näher kommt...Es lebe die sozialistische Revolution.“
Da Tappe kein Russisch sprach, überredete er eine junge Bekannte, die etwas über 16 Jahre alte Sokolowa, für ihn die Mitteilung in russischer Sprache niederzuschreiben. Das Mädchen war mit seiner Mutter aus der Sowjetunion – angeblich freiwillig – zur Arbeit nach Deutschland gekommen. Gleichzeitig versuchte Tappe nach Überzeugung des Gerichts, das Mädchen im kommunistischen Sinne zu beeinflussen. Während er ihr den Wortlaut diktierte, ließ er auf seinem Grammophon zwei- bis dreimal die „Internationale“ ablaufen. Und zwar leise, damit es die Nachbarn nicht hören konnten. Er erzählte ihr, er sei während des Ersten Weltkrieges in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen und dort gut behandelt worden. Später wolle er wieder in die Sowjetunion. Er und seine Schwerter Freunde grüßten mit geballter Faust und anstelle des „Führergrußes“ sagten sie „Guten Tag“.
Ludwig Tappe wurde im Ersten Weltkrieg zweimal verwundet und mit dem EK.II. ausgezeichnet. Von 1931 bis zum Frühjahr 1933 war er Mitglied des kommunistischen Kampfbundes gegen den Faschismus. Außerdem noch im Frühjahr 1933 Mitglied des Rotfrontkämpferbundes (RFB). Wegen seiner Zugehörigkeit zum RFB. sowie wegen seiner Betätigung in der von den Nazionalsozialisten verbotenen politischen Organisation wurde er im September 1934 zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt.
In einem Schreiben des Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof an den Reichsjustizminister wird mitgeteilt, die erkannte Todesstrafe sei am 25.10.1943 vorschriftsmäßig und ohne Zwischenfall vollstreckt worden. Der Reichsminister der Justiz bat, von einer Bekanntmachung der Hinrichtung in der Presse oder durch Anschlag abzusehen.
Ludwig Tappe, Nordwall 2, war bei seiner Hinrichtung durch das Fallbeil 47 Jahre alt. Er war verheiratet und hatte einen damals 15-jährigen Sohn.
Um den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Juden zu entgegen, emigierte Amely Weinberg, geb. Cohen, mit ihrem Ehemann Siegfried Heinz Weinberg (36) am 01.06.1937 in das niederländische Städtchen Alphen aan den Rijn. Ebenso verließen ihre Eltern Siegmund (68) und die in Maastricht geborene Olga (57) Cohen Schwerte und suchten in den Niederlanden Zuflucht.
Aufgrund der Verordnung des Generalkommissars für das Sicherheitswesen über die Kennzeichnung der Juden waren sie ab dem 02.05.1942 auch in dem von den Deutschen besetzten Holland gezwungen, den Judenstern zu tragen. Das Ehepaar Cohen wurde verhaftet und am 04.05.1942 von dem Lager Westerbork (bei Arnheim), in dem sie interniert waren, in das KZ Sobibor deportiert. Seit diesem Zeitpunkt gelten die Eltern als verschollen. Sie wurden vom Amtsgericht Iserlohn am 04.04.1959 für tot erklärt.
Amely Weinberg wurde nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo am 30.09.1942 ebenfalls in das Konzentrationslager Westerbork eingeliefert. Von dort ging ihr Leidensweg über die Hölle des KZ Bergen-Belsen am 07.04.1945 weiter in Richtung Osten, wo sie die einmarschierenden Russen retteten. Ihr Mann Siegfried Heinz Weinberg wurde aus rassischen Gründen am gleichen Tag festgenommen wie seine Frau, da er jedoch krank war, auf Anordnung der Sicherheitspolizei in das jüdische Krankenhaus in Rotterdam eingewiesen. Am 27.02.1943 wurde er in das KZ Westerbork überführt, von dort am 1. Februar 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert, am 13.04.1945 nach Tröbnitz (Niederlausitz) verbracht, wo er am 23. April von Angehörigen der Roten Armee befreit wurde. Nur kurze Zeit nach seiner Befreiung starb er am 07.051945 an den Folgen der Haft (Flecktyphus).
Die am 04.09.1909 in Burgsteinfurt geborene Amely Weinberg hatte ihren letzten inländischen Wohnsitz in Schwerte. In Alphen wohnte sie in der Havenstraat 10. Der Sohn des Ehepaars Weinberg, der am 30.08.1938 geborene John Fred Weinberg, starb bei einem Verkehrsunfall.
Siegfried Weinberg betrieb gemeinsam mit seinem Onkel Louis eine ertragreiche Mühle – etwa im Bereich der heutigen Dresdner Bank. An dieser Mühle, ein größerer Betrieb, war Siegfried Weinberg zur Hälfte beteiligt. (Nach dem Krieg, im Jahre 1958, erzielte der Schwerter Mühlenbetrieb Umsätze zwischen zwei bis drei Millionen DM.)
Die zuvor guten Einkünfte der jüdischen Mühlenbesitzer gingen unter dem Druck der Nationalsozialisten immer mehr zurück. 1936 musste der Betrieb an einen Schwerter Kaufmann verpachtet werden, die Weinbergs emigrierten.
Gerhard Weinberg, geb. an 22.04.1919 in Schwerte, besuchte von 1929 bis Ostern 1934 das damalige Schwerter Realgymnasium, musste es aber, weil er Jude war, im März 1934 verlassen. Anschließend wechselte er, um die „Mittlere Reife“ zu machen, auf das Schweizer Institut Monnier, dann auf eine Technische Hochschule im sächsischen Mittenweida, von der er nach zwei Semestern aus rassischen Gründen relegiert wurde. 1937 wanderte er nach Israel aus, änderte seinen Namen Gerhard Weinberg in Gad Hakeren. Gad Hakeren holte seine in Deutschland verhinderte Ausbildung später in vollem Umfang durch ein Studium an der Columbia University in New York nach. Sein letzter Wohnsitz war 1451 – 42 Street, Brocklyn N.Y.
Über das Schicksal des Onkels Louis Weinberg ist nichts bekannt. Die Unterlagen fehlen.
_____
Quellennachweis:
Nahezu alle Berichte über Opfer des NS-Regimes in Schwerte wurden von Alfred Hintz zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt (©). Der Beitrag zur Familie Kölling wurde von Claudia Becker-Hageney, der Beitrag zu Ilse Renzing stammt von Hille Schulze-Zumhülsen.