Diese Informationen über Fremdarbeiter wurde vom Schwerter Journalisten und Historikers Alfred Hintz auf der Basis des Quellenmaterials aus nachstehenden nationalen und internationalen Archiven zusammengetragen.
Bei einer Haushaltsauflösung fand der Holländer Rien Bal in einem Vorort der Stadt Zwolle eine alte Kladde mit handschriftlichen Aufzeichnungen seines langjährigen Bekannten Gosse G. Mol, in dem dieser die Zeit beschreibt, in der als Zwangsarbeiter im zweiten Weltkrieg im Eisenbahnausbesserungswerk in Schwerte arbeiten musste.
Durch Internetkontakte erreichte dieses Zeitdokument den Historiker Alfred Hintz, der gemeinsam mit dem Heimatvereinsvorsitzenden Uwe Fuhrmann erkannte, dass es sich um eine lokal-historische Sensation handelte.
Der Heimatverein Schwerte hat das Manuskript aus dem Niederländischen von Dagmar Heuke übersetzen lassen und unter dem Titel "Ordnung muss sein" als Tagebuch herausgegeben. Neben dem Vorwort von Alfred Hintz mit ergänzendem Hintergrundwissen vervollständigen Bildmaterial, bearbeitet von Stadtarchivar Udo Bleidick und dem Leiter des Ruhrtalmuseums John Loftus, und einige Zeitungsausschnitte das Zeitdokument.
In seinen Aufzeichnungen beschreibt Gosse G. Mol eindringlich die Zeit zwischen Januar und Juni 1945, die er als Neunzehnjähriger mit mehr als dreihundertfünfzig weiteren Männern, am 09.011945 von Rotterdam aus deportiert im damaligen Reichsbahnausbesserungswerk in Schwerte verbringen musste.
Immer hungrig, gegen Wanzen, Läuse und anderes Ungeziefer kämpfend, aber als Holländer mit mehr Rechten ausgestattet als Zwangsarbeiter aus Russland oder Frankreich, verbrachte Gosse Mol hier eine Zeit der Entbehrungen. Obwohl er unter widrigen Umständen im Reichsbahnausbesserungswerk Lokomotiven reparieren musste, verlor Mol nie den Mut und hoffte immer auf Verbesserung seiner Situation. Er berichtet über die Bombennächte und schließlich über die Auflösung des Lagers Karfreitag, dem 29.03.1945, und die abenteuerliche Rückkehr mit Zwischenstation in Ahlen und Ankunft in Rotterdam am 13.06.1945.
Um die Authentizität zu wahren, wurden zum Beispiel die angegebenen Zwangsarbeiterregistriernummern auf den Wahrheitsgehalt geprüft. Sie stimmen mit denen überein, die das DRK in seiner Datei hat. Auch die Aufzeichnungen über die Bombenangriffe und die Beschreinung der Örtlichkeiten sind zutreffend und finden sich ebenso in anderen Quellen.
Das Tagebuch ist erhältlich in der Ruhrtalbuchhandlung und bei Bücher Bachmann.
Mindestens 6.000 Zwangs- und Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges in den Industrie- und Gewerbebetrieben des Ruhrtals. Das sind weitaus mehr als ein Zehntel der damaligen Bevölkerung von Schwerte, Westhofen, Ergste und Holzen zusammen. Der Arbeitseinsatz der ersten Zwangsarbeiter erfolgte sehr wahrscheinlich bereits Ende 1939, Anfang 1940.
Während des Krieges gab es in Schwerte und den heute zur Stadt gehörenden Ortsteilen kaum einen Industrie-, Gewerbe- oder Handwerksbetrieb ohne Zwangs-, Zivilarbeiter oder Kriegsgefangene. Den größten Anteil ausländischer Arbeitskräfte während dieser Zeit stellte das damalige Reichsbahn-Ausbesserungswerk Schwerte-Ost mit rund 1.700 holländischen, italienischen und französischen Zivilarbeitern sowie - in der Phase der höchsten Belegung des KZ-Außenlagers Buchenwald - etwa 700 KZ-Häftlingen.
Zweitgrößter "Arbeitgeber" für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene waren die Nickelwerke Schwerte mit ihrer Tochtergesellschaft Metallwerke Wandhofen, wo 1.584 Gefangene arbeiten mußten. An dritter Stelle hinsichtlich der Beschäftigenzahl ausländischer Arbeiter lagen die Stahlwerke Brüninghaus in Westhofen mit 411 Gefangenen. Ein Gemeinschaftslager unterhielten Gutehoffnungshütte, Hundhausen und die Wilhelmshütte Rath. Auch die Dortmunder Stadtwerke und die Bahnmeisterei Geisecke hatten - neben anderen kleineren Firmen - Arbeitslager.
Den größten Teil der in Schwerte, Westhofen, Holzen, Ergste und Hennen auf über 30 Lager verteilten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen stellten mit knapp 1.700 Gefangenen die Russen, es folgten Franzosen sowie Polen. Die Zahl der Kriegsgefangenen betrug 1.186 Soldaten. Bei den Nickelwerken arbeiteten 220 Polinnen, außerdem - im Metallwerk Wandhofen - 17 Italienerinnen. Der Rest der ausländischen Arbeiter verteilt sich auf Holländer, Franzosen, Belgier, Italiener, Ukrainer und "Protektoratsangehörige".
Der von Historikern für Schwerte anhand von Dokumenten bislang auf 1942 datierte Ersteinsatz von Zivil-, Zwangsarbeiter/-innen und Kriegsgefangenen muß zeitlich deutlich nach vorn verlagert werden. Denn: Die für die damalige britische Militärregierung im Juli 1949 angefertigte Übersicht der Stadt Schwerte heißt: "Verzeichnis über die in der Zeit vom 03.09.1939 bis 08.05.1945 im Stadtbezirk Schwerte bestandenen Ausländer-Lager." Darüber hinaus bestätigen Zeitzeugen schon für Ende 1939 die Existenz eines kleinen "Polenlagers" auf der Schwerterheide im Bereich Haus Emde.
Der Einsatz von Zwangsarbeitern war von der NS-Regierung bereits 1937 geplant und vorbereitet worden. Beim Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen 1939 waren Abteilungen der Arbeitsverwaltungen mit den deutschen Streitkräften in Polen, um dort, zunächst auf freiwilliger Basis, später unter Druck und Zwang, Arbeitskräfte für das Hitler-Reich zu rekrutieren.
In den genannten Zahlen nicht enthalten sind die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die in der heimischen Landwirtschaft sowie in Handwerksbetrieben eingesetzt waren. Fachleute gehen davon aus, daß dieser Anteil bei ungefähr einem Drittel der Gesamtzahl der Zwangsarbeiter gelegen haben könnte. Allerdings dürfte diese geschätzte Prozentzahl für Schwerte aufgrund der geringeren Bedeutung der Landwirtschaft gegenüber dem produzierenden Gewerbe zu hoch sein.
Das berüchtigte Stalag (Stammlager) Hemer unterhielt in Schwerte zwei Außenstellen. Wie aus Unterlagen des flämischen Familienministeriums Brüssel hervorgeht, befanden sich diese beiden Stalag-Nebenstellen an der Bahnhofstraße 34 (Westfälischer Hof) und an der Iserlohner Straße 2 (Aldi). Es handelte sich um Kriegsgefangenenlager hauptsächlich für Franzosen.
Anfang 1950 beantworteten die in ihre Heimat zurückgekehrten Kriegsteilnehmer dem flämischen "Dienst für die Kriegsopfer" in Brüssel einen Fragebogen. Danach waren beide Lager von Stacheldraht umgeben und die Gefangenen wurden von mit Gewehren bewaffneten Soldaten Tag und Nacht bewacht. Wahrscheinlich handelte sich dabei wie im "Stalag" Hemer auch, um Landschützenkompanien, die zur deutschen Wehrmacht gehörten.
Das Kriegsgefangenenlager Bahnhofstraße war mit 60 bis 70 Personen belegt, das "Im Reiche des Wassers" mit 120 bis 150 Männern. Nach übereinstimmenden Angaben in allen vorliegenden Fragebogen wurden die Kriegsgefangenen nicht misshandelt. Sie trugen ihre Soldatenuniformen mit dem Kennzeichen P.G. (Kriegsgefangener) und erhielten für ihre Arbeit entsprechende Arbeitskleidung. Der Arbeitseinsatz der französischen Gefangenen erfolgte in den in der Nähe liegenden Fabriken, die Arbeitszeit betrug je nach Fabrik zwischen acht bis zehn Stunden. Arbeitsbeginn war 5 oder auch 6 Uhr. Ausgang nach der Arbeit oder am Sonntag war verboten. Gefangene wurden aber auch im Straßenbau beschäftigt. Sie verlegten nach Angaben von Zeitzeugen u.a. an der Schützen- und Paulstraße Rohrleitungen.
Die französischen "Westarbeiter" waren, ganz im Gegensatz zu ihren überwiegend sowjetischen Leidensgenossen in Hemer, privilegiert. Sie nahmen in der rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten unter den Zwangsarbeitern die Spitzenstellung ein. Ganz unten in der Hierarchie rangierten die sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter. Deren Lebensverhältnisse waren deutlich schlechter als die der Polen und im allgemeinen unvergleichlich schlechter als die der Westarbeiter. Mit ein "Schlußlicht" der Kriegsgefangenenpyramide waren ab 1943 die italienischen Militärinternierten, die sog. "Badoglios".
Das 1939 mit zunächst 10.000 polnischen Kriegsgefangenen errichtete "Stalag" Hemer war eines der größten Kriegsgefangenenlager im damaligen Nazi-Reich. Hauptaufgabe des Lagers war schwerpunktmäßig die Verwaltung der im Ruhrbergbau, aber auch in der Umgebung eingesetzten Gefangenen. Als ein Teil der 9. amerikanischen Armee das Lager 1945 befreite, waren von den noch 22.000 Gefangenen 9.000 Fälle für das Krankenhaus. Sie litten an Typhus, Tuberkulose, Ruhr und Unterernährung. In einem Massengrab auf dem Duloh-Friedhof in Hemer wurden 19.753 Tote begraben.
Stacheldrahtzaun, schwarze Schlackenerde, Schmutz, Wanzen, schlechtes Essen und Schläge - das sind die schlimmen Erinnerungen, die eine ukrainische Arbeiterin mit ihrem zweijährigen Zwangsaufenthalt während des Krieges in einem Arbeitslager am Schwerter Kirchweg verbindert. Die Gefangenen nannten das Lager wegen der hölzernen Baracken "Lager Holzhaus". Dort war sie eine von 220 weiblichen Gefangenen.
Neben einem Arbeitslager für 540 Russen unterhielten die Nickelwerke am Kirchweg ein weiteres für Franzosen. Arbeits- und Lebensbedingungen, Ernährung und Bewachung usw. waren für die sog. "Ostarbeiter" durch den Ostarbeitererlass des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) vom Februar 1942 geregelt. Die Vorschriften des Ostarbeitererlasses sind inhaltlich bis auf die Angaben über die Ernährung in etwa deckungsgleich mit der Beschreibung der ehemaligen ukrainischen Metallwerke-Arbeiterin. Danach war das Lager mit Stacheldraht eingezäunt, an den Ecken standen Wachttürme.
Nicht nur die Erde des Arbeitslagers, auch der Boden der Räume sei ganz mit schwarzer Schlackenasche bedeckt gewesen. "Alles dort war schwarz, schmutzig." In einem 27 Quadratmeter großen Raum seien sie zu 16 Frauen gewesen, hätten zu zweit in zweistöckigen Pritschen auf einem Strohsack geschlafen und nur eine Decke zum Zudecken gehabt. Wegen der zahlreichen Wanzen seien Schlaf oder Erholung kaum möglich gewesen.
Bezüglich der Ernährung erinnert sich die Frau, allerdings nach inzwischen 60 Jahren, unter anderem an 120 Gramm Brotersatz, zweimal täglich eine Brühe aus Spinat, Steckrüben und Kohl, einmal wöchentlich 20 Gramm Margarine. "Das war alles. Wegen dieses Essens waren unsere Gesichter grün."
Während der Zeit ihres Lageraufenthaltes habe sie als Bekleidung ein Hemd und drei Paar Holzschuhe erhalten. Bei der Arbeit wärmte sie sich mit der Decke, die Holzschuhe trug sie ohne Socken, auch im Winter bei Eis und Schnee. In einer Kolonne marschierten sie den Weg zur Arbeit, von Sicherheitskräften bewacht. Nach Beendigung der Arbeit wurden sie "gefilzt", um das Forttragen von Patronenhülsen oder anderen Waffenteilen zu unterbinden.
Bekanntlich war das Nickelwerk während des Krieges Rüstungsbetrieb und produzierte neben den Patronenhülsen Stahlhelme und Teile für Lufttorpedos. Das "Lager Holzhaus" durfte von den Gefangenen außer zum Zwecke der Arbeit nicht verlassen werden.
Als die Ukrainerin ins Lager kam, wog sie 67 Kilo, nach einigen Monaten nur noch 47 Kilogramm. Sie schließt ihren Bericht: "Der Hitlerkrieg hat mein Leben gebrochen." Trotz der den Ostarbeitern offiziell zustehenden Essensrationen ergab die Inspektion, die ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes im Sommer 1943 auf eigene Faust in einem Berliner Lager vornahm, folgendes: "Morgens einen halben Liter Kohlrübensuppe, Abends einen Liter Kohlrübensuppe. Zusätzlich erhält der Ostarbeiter 300 Gramm Brot täglich. Hinzu kommen wöchentlich 50 bis 75 Gramm Margarine, 25 Gramm Fleisch oder Fleischwaren, die je nach Willkür der Lagerführer verteilt oder vorenthalten werden."
Das Leben gab ihnen keine Chance: Von den etwa 1.700 Russen, die während des Krieges in Schwerte zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, starben in der Zeit von 1941 bis 1945 nach den Unterlagen des Friedhofsamtes der Stadtverwaltung Schwerte 195 Menschen. In diesen dürren statistischen Angaben, hinter denen sich tragische Schicksale verbergen, ist die Zahl möglicher Todesopfer unter den 700 KZ-Häftlingen der KZ-Außenstelle Buchenwald im ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerk Schwerte-Ost aufgrund fehlender Unterlagen nicht enthalten. Die tatsächliche Zahl der Toten unter den russischen Gefangenen und Zwangsarbeitern dürfte sehr wahrscheinlich höher liegen.
Auf dem evangelischen Friedhof an der Hörder Straße erinnert ein Granitstein: "Hier ruhen 37 Sowjetbürger, die in deutscher Gefangenschaft in der Zeit von 1941 bis 1945 verstorben sind." Auf dem katholischen Friedhof mahnt ein Grabmal für 73 verstorbene junge Russen. In Villigst wurde ein Russe bestattet, in Geisecke vier, in Westhofen 20 und in Ergste etwa 70. Bei den Ergster Zahlen handelt es sich um geschätzte Annäherungswerte.
Die in Schwerter Gefangenschaft gestorbenen Russen waren jung, die meisten im Alter um 20 Jahre. Der jüngste unter den Toten war 17 Jahre alt, als er, fern von Eltern, Geschwistern und Verwandten, in fremder Erde begraben wurde. Einige der Verstorbenen waren Ende 30, Anfang 40. Während auf dem ev. Friedhof das Jahr 1942 Schwerpunkt der Bestattungen war, liegt diese Zeit auf dem kath. Friedhof im Jahr 1944. Möglicherweise handelt es sich bei den im Jahre 1944 umgekommenen Russen um Opfer der Nickelwerk-Bombardierung.
Eine Ausnahme sowohl hinsichtlich des Alters der Verstorbenen als auch in Bezug auf das Sterbejahr bildet Ergste. Alle Bestattungen auf dem Erster Friedhof erfolgten von Anfang 1945 bis in den Mai hinein, einige erst nach der Kapitulation, also nach dem 08. bzw. 09.05.1945. Die in Ergste bestatteten Russen waren um die 40 Jahre, in zwei Fällen war das Geburtsjahr 1893. Eine Erklärung für diese Auffälligkeit könnte darin liegen, dass die im Ruhrbergbau und den Stahlhütten des Reviers zur Zwangsarbeit eingesetzten Russen gegen Kriegsende in langen Märschen über den Raum Ergste ins Stalag (Stammlager) Hemer zurückgeführt und bei Erschöpfung zurückgelassen wurden. Nach den Unterlagen der Stadtverwaltung Schwerte unterhielt die OT (Organisation Todt) in Ergste ein Lazarett, das wahrscheinlich von den Amerikanern übernommen wurde.
Unter den ausländischen Arbeitern starben während des Krieges ferner 23 Polen, zwei Belgier, ein Holländer, ein Franzose und ein Italiener. Diese Zahlen verdeutlichen die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der sog. Ostarbeiter, die in der NS-Rassenideologie am untersten Ende der Hierarchie angesiedelt waren. Der erste Zwangsarbeiter, ein junger Pole, starb bereits am 21.01.1941. Daraus folgt, dass der Einsatz von ausländischen Arbeitern in Schwerte bereits im Jahr zuvor, 1940, erfolgt sein muss.
Von den 5,7 Millionen sowjetischen Soldaten in deutschen Gefangenenlagern sind nach Schätzungen des Militärarchivs Freiburg etwa 2,6 Millionen umgekommen. Für diejenigen, die die deutschen Gefangenenlager überlebten, war das Martyrium nach dem Krieg nicht beendet. Stalin setzte Kriegsgefangene mit landesverräterischen Deserteuren gleich. Nachdem sie befreit worden waren, wurden sie zunächst in Auffanglagern zusammengefasst. In Russland ließ Stalin viele von ihnen zu langjährigen Haftstrafen in den Lagern des Archipel Gulag verurteilen.
Schwerte war im letzten Drittel des Krieges eine Ruinen- und Barackenstadt. Rund 6.000 Kriegsgefangene, Zwangs- und Zivilarbeiter hausten in Holzbaracken, in notdürftig hergerichteten Sälen von Gastwirtschaften oder einfach in durch den Krieg ramponierten Bauzügen auf einem Abstellgleis des Schwerter Bahnhofs.
Nach Angaben ehemaliger französischer Kriegsgefangenen vor dem "Service des Victimes de la Guerre" in Brüssel waren die etwa 1.500 bis 1.700 Zivilarbeiter des ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerkes Schwerte-Ost auf dem Werksgelände in Holzbaracken untergebracht, die Häftlinge des KZ-Außenlagers Buchenwald in sieben Baracken außerhalb der Werksmauern. Wie aus den vorliegenden Fragebögen des Ministeriums weiter hervorgeht, handelte es sich nach Einschätzung der Franzosen bei der Unterkunft der Zivilarbeiter um ein Lager für freiwillige Arbeiter, ein reines Zivilarbeitslager.
Bei den Zivilarbeitern, so die Stadtverwaltung Schwerte in einer nach dem Krieg für die britische Militärregierung erstellten Statistik, habe es sich zu 60 Prozent um Niederländer, zu 25 Prozent um Italiener und zu 15 Prozent um Franzosen gehandelt. Wie die damaligen französischen Kriegsgefangenen vor dem Brüsseler Ministerium weiter ausführten, sei das Barackenlager der Zivilarbeiter in Schwerte-Ost unbewacht und frei zugänglich gewesen. Die Arbeiter hätten nach Feierabend und sonntags das Lager verlassen können und seien auch im Besitz eines Werksausweises gewesen. Die Arbeitszeit habe zehn Stunden betragen (ab 1942 wurde beim RAW für die gesamte Belegschaft aufgrund des kriegsbedingten Mangels an Arbeitskräften die 60-Stunden-Woche eingeführt), die Entlohnung sei wie die der deutschen Arbeiter gewesen.
Hier sind die Angaben der Franzosen zu ergänzen um die Ausführungen eines italienischen Zeitzeugen, eines ehemaligen Militärinternierten, der nach Beendigung des Krieges in Schwerte geblieben ist. Erst ab 1943 habe man eine Entlohnung von 80 RM erhalten, erklärte der "Badoglio" glaubhaft. Diese Angabe korrespondiert mit dem Erlass von 1943 aus Berlin, der die Behandlung der Kriegsgefangenen und Militärinternierten neu regelte. Ähnliche Aussagen finden sich über das Gemeinschaftslager Gutehoffnungshütte, Hundhausen und Rath im Saal der früheren Gastwirtschaft Sprave an der Hörder Straße (Sürig). Das allerdings sei ein hundertprozentiges Ostarbeiterlager gewesen.
Der 800 Meter lange Fußweg von der Unterkunft zum Arbeitsort wurde zu Fuß und ohne Bewachung zurückgelegt. Auch diese Arbeiter seien wie die deutschen Arbeiter entlohnt worden, Sonntagsarbeit habe es nur als Ausnahmeregelung gegeben. Die Lagerbewohner hätten ebenfalls Ausweise besessen. Abends oder sonntags hätten sie in die Stadt gehen können mit einem "T.L". an ihrer Zivilkleidung.
Die relativ "lockeren" Bedingungen, die die Franzosen hier schildern, lassen den Schluss zu, dass es sich um polnische Zivilarbeiter gehandelt hat, die rein arbeitsrechtlich bis auf eine 15-prozentige "Ostarbeiterabgabe" den deutschen Arbeitern gleichgestellt waren. 1940 wurden die polnischen Kriegsgefangenen durch Regierungsbeschluss zu Zivilarbeitern erklärt.
Weitere Arbeitslager befanden sich in Schwerte an der Hagener Straße, Hüsingstraße, Wilhelmstraße, Hermannstraße sowie Ruhrstraße, Hagener Straße, Bergstraße, Bahnhofstraße, Niederstraße in Westhofen, Kreisstraße und Kirchweg in Holzen, in der Gastwirtschaft Söding in Garenfeld sowie im Bereich des kleinen Stausees in Geisecke. Das erste kleinere Lager für Polen wurde nach Zeitezeugenberichten bereits Ende 1939 auf der Schwerterheide in der Nähe von Haus Emde eingerichtet. Eilne Reihe von "Fremdarbeitern" wohnte auch privat in angemieteten Zimmern.
Mitten im Krieg fanden Kasimir, polnischer Kriegsgefangener, und Lina, Küchenhilfe im "Freischütz", ihr Glück und heirateten. Lina "ganz in Weiß" und Kasimir in polnischer Soldatenuniform. Jahrelang besohlten Kasimir und sein ebenfalls polnischer Arbeitskollege Johann den Bewohnern der Schwerter Innenstadt die Schuhe und richteten schiefe Absätze. Kasimir wurde später in den Status des Zivilarbeiters überführt, Johann war im Anfang des Krieges von Polen nach Deutschland zur Arbeit "dienstverpflichtet" worden, also Zwangsarbeiter.
Die beiden gelernten Schuhmacher waren in der Werkstatt des Schuhhauses Hanna am Markt eingesetzt. Sie gehörten zur Familie, waren für die beiden halbwüchsigen Kinder fast wie große Brüder. Mutter Lina kochte und wusch die Wäsche, Tochter Edith stopfte ihnen die Löcher in den Socken. Kasimir und Johann saßen mit am Tisch und bewohnten im gleichen Haus gemeinsam ein kleines Mansardenzimmer.
Der ebenfalls am Markt wohnende, stadtbekannte und bärenstarke Polizist Tr., Oberhaupt einer kinderreichen Familie, war großzügig und warf bei seinen Kontrollpflichten ein eher väterliches Auge auf die beiden jungen Polen. Gelegentlich sahen auch Wehrmachtsangehörige nach dem Rechten. Und als es einmal energisch und heftig an der Haustür klopfte, hatten die beiden Schuhmachergesellen schnell einen ranghohen, ordensgeschmückten Offizier ausgemacht. Sie forderten daraufhin ihren jungen "Kollegen" Helmut, heute Seniorchef des Schuhhauses, listig auf: "Mach nicht auf, Helmut, mach nicht auf. Draußen steht ein dreckiger Pole.
Nach dem Krieg kamen Kasimir und Johann wie viele andere Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in ein Auffanglager im Bereich Garenfeld-Kabel. Edith und ihre inzwischen verstorbene Freundin Iris besuchten sie im häufiger Lager, wo Kasimir mit zur Lagerleitung gehörte. Nach Auflösung des Lagers und Rückführung der ehemaligen Kriegsgefangenen in den Osten haben sie nie wieder etwas von ihnen gehört.
Das war keine Einzelfallgeschichte. Das von der NS-Führung erstrebte Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Deutschen und Polen setzte sich, sehr zum Missvergnügen der Machthaber und trotz zahlreicher Richtlinien und Verbote, in der Praxis des "Poleneinsatzes" durchaus nicht sofort und überall durch. Der innenpolitische Geheimdienst des Regimes, der SD, klagte schon Ende 1939 über ein "allzu freundliches Verhalten eines Teiles der Bevölkerung gegenüber polnischen Kriegsgefangenen" und meldete, besonders auf dem Lande werde der Abstand zwischen der bäuerlichen Bevölkerung und den polnischen Kriegsgefangenen nicht genügend gewahrt. "So ist vielfach beobachtet worden, dass polnische Gefangene bei den Bauern, bei denen sie beschäftigt sind, mit in die Familien aufgenommen werden, die Bauern ihre Mägde und in einzelnen Fällen auch ihre Töchter mit polnischen Gefangenen zum Tanze gehen ließen."
Und so wird verständlich, dass in zahlreichen verbürgten Fällen Landwirte aus Ergste, Westhofen und Hennen noch jahrelang Kontakte zu ihren früheren "Ostarbeitern" hatten, "Familienfotos mit Zwangsarbeitern" fast üblich waren. "Ferdi" Roolf, langjähriger Gastwirt im Holzener "Jägerheim", erinnert sich, dass sich die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen der umliegenden Höfe am Sonntag auf der Deele des Roolfschen Bauernhauses trafen, um im Schatten und auch im Schutz der Bäume und Büsche des Ebbergs zu singen und nach den Klängen der Mundharmonika zu tanzen. Noch heute kennt "Ferdi" die polnischen und ukrainischen Lieder, die sie damals gemeinsam sangen. Allerdings: In einigen Fällen hielten es einige heimische Landwirte, auch junge Frauen, für klüger, nach Beendigung des Krieges vorübergehend auf "Tauchstation" zu gehen.
Während des Zweiten Weltkriegs kamen in der "Alten Freiheit Westhofen" zwei kleine Polen auf die Welt. Die Eltern waren Gina und Mirek. Das polnische Ehepaar arbeitete als Zivilarbeiter in der Westhofener Landwirtschaft.
Ihre Lebensplanung offensichtlich ebenfalls auf Westhofen ausgerichtet hatten auch die Ukrainer Jan Prokop und Anna, die dort in den vielzitierten "Hafen der Ehe" segelten. Auch nach 60 Jahren kennt man in Westhofen die damaligen "Fremdarbeiter" noch mit Vornamen. Die für deutsche Zungen schwierige Nachnamen hat man sich erst gar nicht gemerkt, zumal die "Fremdarbeiter" und "Fremdarbeiterinnen" seinerzeit so jung waren, dass sie unkompliziert mit Vornamen gerufen wurden
Die 87-jährige Elly Schlünder erinnert sich: "Da waren die Russen Feodor, Vater und Sohn Pietro und Alex, die bereits genannten Jan Prokop und Anna, Mirek, Gina und Janka, die Polen Josef und Eugen und der große und der kleine Tolar."
Von den Mitgliedern des Plattdeutschen Kreises Westhofen kommen Ergänzungen: "Bei Westhofener Bauern gearbeitet haben u.a. die Polen Walter und Johann sowie Olga Kandsübowa und Anna Zdicha."
Zu den russischen, polnischen und französischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die bei den Stahlwerken Brüninghaus arbeiteten und die für Jahre in Baracken lebten, bestand weniger Kontakt. Die Brüninghaus-Arbeiter ließen sich, wie andernorts, von ihren Frauen ein paar Butterbrote - sofern das bei den knappen eigenen Rationen möglich war - mehr mit auf die Arbeitsstelle geben, um sie dort den ausländischen Arbeitern zuzustecken. Das was übrigens strengstens verboten und hatte ggf. harte Strafen zur Folge. Gelegentlich "liehen" sich die Westhofener Familien einen oder zwei Gefangene gegen Beköstigung für Gartenarbeiten oder andere kleinere Arbeiten aus.
Die Baracken befanden sich in etwa auf dem Geländes des heutigen Autohauses Niewel. Ein weiteres Gefangenenlager war in den Räumen der heutigen Garenfelder Gastwirtschaft "Haus Söding" untergebracht.
Ein heute 81-jähriger Holzener ist der Auffassung, zahlreiche Zivilarbeiter seien, so wie er auch, zu Beginn des Kriegs freiwillig zur Arbeit nach Deutschland gekommen. Die finanziellen Konditionen seien in Deutschland besser gewesen als in der Heimat. Der Donauschwabe, der ursprünglich einer deutschen Minderheit aus der Nähe von Belgrad angehörte, unterschrieb 1941 einen halbjährigen Arbeitsvertrag für Deutschland. Nach Ablauf des Vertrages wollte er in seine Heimat zurück. Daran wurde er jedoch gehindert. Sein Arbeitsvertrag wurde zerrissen. Und einen neuen wollte er nicht unterschreiben. Er wollte nach Hause und kaufte sich, um die Behörden zu täuschen zunächst eine Fahrkarte nach Stuttgart. Dort wurde er von den "Kettenhunden", der Militärpolizei, aufgegriffen, kam in ein Straflager bei Moers und musste danach in Deutschland arbeiten. Nach dem Kriege konnte er nicht mehr in seine jugoslawisch gewordene Heimat zurück. So wurde aus einem halbjährigen freiwilligen Arbeitsaufenthalt in Deutschland ein Aufenthalt fürs Leben.
Weitere Hinweise von Zeitzeugen oder anderen Interessierten werden gern entgegen genommen von Alfred Hintz.
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