Am 07.04.1944, wurde das Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar im damaligen Reichsbahn-Ausbesserungs-Werk Schwerte-Ost (RAW) errichtet.
Das RAW wurde in den Unterlagen des KZ Buchenwald als Rüstungsbetrieb geführt. Es war eines von gegen Kriegsende 137 Außenlagern des KZ Buchenwald. Bei der Reparatur von für den Osten vorgesehenen Schadlokomotiven wurden im AW unter Anleitung deutscher Vorarbeiter auch KZ-Häftlinge eingesetzt.
Mitten im Inferno des entfesselten Bombenkrieges, als die alliierten Bombergeschwader ihre schwersten und für die Zivilbevölkerung verlustreichsten Luftattacken gegen die Ruhrstadt flogen, wurde das Arbeitslager Schwerte-Ost des Konzentrationslagers Buchenwald im ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungsschwerk eingerichtet.
Am 07. 04.1944 meldete SS-Hauptscharführer John dem Arbeitseinsatzführer, SS-Obersturmführer Schwarz in Weimar-Buchenwald: "Der Transport, 4 Unterführer, 34 Männer und 100 Häftlinge ist heute um 15 Uhr in Schwerte eingetroffen." Die Unterkünfte seien bezogen und die Verpflegung aus der Lagerküche des Werkes abgegeben worden. Wie John dem Stammlager Weimar-Buchenwald weiter mitteilte war für den folgenden Tag, den 08.04.1944, um sieben Uhr der erste Arbeitseinsatz der KZ-Häftlinge vorgesehen. Es werde aber nur in Kurzschicht gearbeitet, "da das Werk ab 13 Uhr bis nach den Feiertagen steht". Am 10. April sollten 50 Häftlinge zu Lagerarbeiten innerhalb der Werksanlage herangezogen werden, so John in dem knappen Brief abschließend. Und handschriftlich erfolgte der Zusatz: "Am 08.04. halbe Tage eingesetzt. 09.04. kein Einsatz, 10.04. 50. Häftlinge eingesetzt".
Die 100 Buchenwaldhäftlinge wurden in einem Teil der vom Reichsarbeitsdienst gebauten, vom Kesselhaus des RAW beheizbaren und mit Waschräumen versehenen Einheitsbaracken untergebracht, die deshalb von den Zivilarbeitern frei gemacht werden mußten. Dort schliefen sie in dreistöckigen Etagenbetten. Das KZ-Außenlager war nach Angaben ehemaliger französischer Kriegsgefangener vor dem Brüsseler Ministerium für Kriegsopfer durch einen elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun gesichert. Darüber hinaus nach Erinnerungen von Zeitzeugen durch einen mit Maschinengewehren bestückten, Tag und Nacht besetzten Wachturm. Leon van Oyenbrügge, ein ehemaliger Häftling, erinnert sich in "Souvenirs de Schwerte" in "Amicale Buchenwald et Kommandos", das Gelände sei in drei Teile aufgeteilt gewesen. Im ersten arbeiteten die Zivilarbeiter, im zweiten die Kriegsgefangenen, hauptsächlich Franzosen und in der am weitesten nach außen gelegenen Sektion Gefangene verschiedener Nationalitäten, auch Belgier. Die Wachmannschaft setzte sich aus sog. "rumänischen Legionisten", rumänische Freiwillige, die der SS angehörten, zusammen.
Nach aktuellen Recherchen lag der Außenposten des KZ Buchenwald innerhalb der Werksmauern im Bereich der jetzigen Gedenkstätte. Das haben sowohl erneute Auswertungen von alliierten Luftbildern aus dem Jahr 1945 ergeben als auch die Angaben des Zeitzeugen Anselm Schröer (81). Schröer war zum fraglichen Zeitpunkt Lehrling beim AW Schwerte-Ost.
Die Stadt als Untere Denkmalbehörde hat in Abstimmung mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster die Pfadfinderbaracke auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald aus der Denkmalliste gelöscht. Begründung: Die Eingangsvoraussetzungen zur Eintragung in die Denkmalliste, die Baracke habe zur Unterbringung von KZ-Häftlinge gedient, entspreche nicht den Tatsachen. Das Fundament dieser Baracke wurde als Bodendenkmal eingetragen als Symbol der Unterdrückung der Fremdarbeiter im damaligen Nazi-Deutschland.
Mit der Entsendung von Häftlings-Baubrigaden in bombengeschädigte Städte des Ruhrgebiets wurde 1942, nach dem "Stalingrad-Schock", die entscheidende Weichenstellung zu zahlenmäßig großen Kommandos außerhalb des Hauptlagers Buchenwald vorgenommen. Im März 1944 war von den rund 42.500 Buchenwald-Gefangenen etwa die Hälfte im Hauptlager, die andere Hälfte in den Außenlagern untergebracht.
Das RAW wurde in den Unterlagen des Konzentrationslagers Buchenwald als "Rüstungsbetrieb" geführt. Es war eines von zunächst 47, zum Jahresende 1944 bereits 76 Außenlagern. Im RAW wurden Schadlokomotiven repariert, die für Transporte im Osten vorgesehenen Maschinen frostgeschützt und funktionswichtige Teile mit Panzerplatten verkleidet. Für diese Arbeiten wurden die KZ-Häftlinge unter Anleitung deutscher Vorarbeiters eingesetzt.
Durch den kriegsbedingten Mangel an Arbeitskräften wurde im Reichsbahn-Ausbesserungswerk im Frühjahr 1942 für alle Mitarbeiter die 62-Stunden-Woche eingeführt, die zwei Jahre später, 1944, auch für die KZ-Häftlinge galt. Die Gefangenen - die Häftlingsnummern waren an der Kleidung angebracht und nicht in die Haut eingebrannt - arbeiteten, ebenso wie die übrige AW-Belegschaft im Reparaturbetrieb, in Wechselschicht. Die Tagschicht ging von 7: Uhr bis 18:30 Uhr mit einer Mittagspause von 13 Uhr bis 13.45 Uhr, Arbeitsbeginn der Nachtschicht war 18:30 Uhr, Arbeitsende 5:50 Uhr, die Arbeitspause wurde von 24 Uhr bis 0:35 Uhr eingelegt. Sonntags wurde mit verringerter Belegschaft nur in der Tagschicht von 7:00 bis 12:00 Uhr gearbeitet.
Oberscharführer John führte über den Arbeitseinsatz des Häftlingskommandos beim Reichsbahn-Ausbesserungswerk für das "K. L. Buchenwald" sorgfältig Buch. In die Vordrucke der täglichen Arbeitszettel einzutragen waren neben Datum und jeweiliger Schichtstärke auch die Zahl der Kranken. Am 11.04.1944, vier Tage nach dem Eintreffen der Häftlinge in Schwerte-Ost, mußte John von jeweils 50 Gefangenen für die Tag- und Nachtschicht für jede Schicht drei "krank" melden. Durchschnittlich lag der Krankenstand im April je Schicht zwischen zwei und drei, gelegentlich bis zu fünf Gefangenen. Die Angaben des sowjetischen Arztes Dr. Alexej Gurin in dem Buch "War behind barbed wire", er habe in Schwerte 77 Gefangene krank geschrieben, sind widersprüchlich und werden durch die Krankenstatistik in keiner Weise bestätigt.
Unter den Gefangenen, die größtenteils als Häftlings-Hilfsarbeiter geführt wurden, herrschte Fluktuation. So trug John am 17. April unter der Rubrik "Transport" acht Häftlinge ein und am 20.04. einen "Zugang Bu 10", also zehn neue Gefangene aus Buchenwald. Die Gründe für den Gefangenenaustausch sind aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Sehr wahrscheinlich aber wurden arbeitsunfähige Häftlinge nach Buchenwald zurückgeschickt und durch kräftigere Männer ersetzt. "Durch Zugang v. 20.04." vermerkte John in sorgfältiger, kleiner Handschrift ein "neues Soll 101 Hftl.". Das SS-Arbeitslager Schwerte teilte dem Rapportführer für das Konzentrationslager Buchenwald am 05.06.1944 eine Anschlußstärke von 225 Gefangenen mit. Unter "Abgang" wurden zwei erfasst. Diese zwei wurden mit TBC-Verdacht der Krankenlagerleitung überstellt.
Auf genau 439.432 Reichsmark belief sich die Lohnsumme, die das Reichsbahn-Ausbesserungswerk Schwerte-Ost für die vom Konzentrationslager Buchenwald an den Außenposten Schwerte überstellten Gefangenen für deren geleistete Arbeit zu entrichten hatte. Und zwar für die Zeit von April 1944 bis Februar 1945.
Zu überweisen waren die Beträge auf das Konto des KL Buchenwald bei der Reichsbankstelle Weimar Nr. 76/1911 oder auch auf das Konto der Reichsbankstelle Erfurt Nr. 24904 des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes Oranienburg bei Berlin. Das Oranienburger Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) war für die Verwaltung aller Konzentrationslager und der im Verlaufe der letzten Phase des Krieges immer zahlreicher werdenden Außenposten zuständig. Die Löhne waren vom RAW Schwerte monatlich zu überweisen.
Anhand der Forderungsnachweise, die die KL-Verwaltung dem WVHA monatlich zustellte, lassen sich die von Schwerte zu entrichtenden Lohnsummen nachvollziehen. Für April waren zu zahlen 7.300 RM, für Mai 16.848 RM, für Juni 25.760 RM, für Juli 37.482 RM, für August 46.478 RM, für September 72.414 RM, für Oktober 51.464 RM, für November 67.750 RM, für Dezember 82.768 RM, für Januar 12.972 RM und bis zum 15.02.1945 6.480 RM.
In diesen Zahlen spiegelt sich die im Laufe des Jahres 1944 zunehmende Lagerstärke des Außenpostens Schwerte-Ost sowie seine Auflösung mit dem Heranrücken der Amerikaner Anfang 1945. Schwerte-Ost war von der Waffen-SS bei voller Ausnutzung aller Kapazitäten für eine durchschnittliche Belegungsstärke von 500 Mann geplant. Die maximale Ausnutzung des Lagers war für 845 Gefangene vorgesehen.
Von der KZ-Verwaltung für die Lohnabrechnung festgehalten wurde in den einzelnen Außenlagern Anzahl der Tagwerke sowie Zahl der Arbeitsstunden. Das Entgelt für Facharbeiter belief sich auf sechs, das für Hilfsarbeiter auf vier Reichsmark. Bis einschließlich Juni 1944 wurde die Gefangenen als Hilfsarbeiter entlohnt, ab Juli einige als Facharbeiter, die Mehrzahl weiter als Hilfsarbeiter. In einem Aktenvermerk vom 08.06.1944 heißt es u.a.: "Das Reichbahn-Ausbesserungswerk hat erreicht, daß den Häftlingen Prämien von 10 bis 20 RM pro Woche zugesagt werden, wenn die geforderten Arbeitsleistungen erzielt werden." Zu diesem Punkt ist festzuhalten, dass die Zahlung von Prämien nach den Unterlagen ganz offensichtlich auf Drängen der SS erfolgte.
KZ-Häftlinge, Zivilarbeiter, reguläre Werksangehörige des ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerkes Schwerte-Ost und Flakhelfer - sie alle aßen 1944 den gleichen widerlichen Eintopf aus der RAW-Werksküche. Bis sich die Häftlinge darüber beschwerten, das Essen in Schwerte-Ost sei schlechter als in Buchenwald.
Aber nicht nur die Häftlinge klagten über die miserable Verpflegung. Karl Ewald, langjähriger Rektor der Kardinal-von-Galen-Schule, war damals 15jähriger Luftwaffenhelfer und wurde von der Scheinwerferbatterie im Gänsewinkel mit seinen Kameraden geschlossen zum Essenfassen in die Werkskantine geführt. Er erzählt mit dem lebhaftesten Widerwillen von diesem "Mittagstisch". Mit Löffel und Napf in der Hand sei man wie die Fremdarbeiter an den Essensbehältern, den Wannen und Eimern vorbeigegangen und habe von der austeilenden Russin links einen Schlag von den manchmal höchst unappetitlich aussehenden Kartoffeln in den Napf bekommen, die von der zweiten "Matka" rechts daneben schnell mit einem Schlag gelber Steckrüben aus der Kelle mildtätig zugedeckt worden seien. Karl Ewald: "Die Essensausgabe am nächste Tag verlief wie gehabt. Nur war inzwischen aus dem Überbleibsel des Vortages eine blaß gelblich gefärbte Suppe geworden. Die zeigte zwei Tage später eine kräftigere rote Färbung, wenn wir am Tage zuvor eine Kelle Möhrengemüse auf die Kartoffel bekommen hatten."
Einmal sei der kleine Sohn der "Oberköchin" als Aufseher durch die Reihen gestrichen und habe seiner Mutter zugerufen: "Mutter, Mutter! Sie lassen wieder das ganze Essen stehen." Kurzerhand habe ihm daraufhin ein Mitschüler den Blechnapf mit dem Steckrübenbrei über den Kopf gestülpt. "Das war der Anfang vom Ende in der RAW-Kantine".
Nach einem Buchenwalder Aktenvermerk "Betrifft: Kommando Schwerte" vom 08.06.1944 wurde für die KZ-Häftlinge "diesem unerfreulichen Zustand...abgeholfen, indem mit Wirkung vom 10.06. KL Bu. selbst den Küchenbetrieb übernimmt." Das Reichsbahn-Ausbesserungswerk solle sofort die Vorbereitung für die Inbetriebnahme der Küche treffen, ordnete die SS an. Und weiter: "Vorerst ist ein Koch abzustellen." Ein in den Unterlagen der Stadt als Küche ausgewiesenes Gebäude auf dem AW-Gelände wird heute anderweitig genutzt.
Nach dem Bericht, den SS-Hauptscharführer John am 13.05.1944 über die Flucht eines Häftlings für das Stammlager Buchenwald anfertigte, erhielten die Häftlinge für die Nachtschicht um 24 Uhr ein Zugabe-Essen. Außerdem konnten sie sich gegen entsprechende Bezahlung in Reichsmark von der Kantine Buchenwald durch Kurier mit Tabak, Zigaretten und Schreibwaren versorgen lassen.
In zwei Schreiben vom 27.07.1944 zum Thema Verpflegung urteilte der Standortarzt der Waffen-SS Weimar über einen Buchenwalder Gemüsesalat u.a.: "Aussehen und Geschmack sind derart, daß er kaum zur menschlichen Ernährung geeignet bezeichnet werden kann. Der Gemüsesalat besteht aus Kohlrüben, die mit Fischlauge gemischt nach der Salzkonservierungsmethode behandelt sind. Der Salzgehalt beträgt 2,28 Prozent, so daß der Salat schon aus diesem Grunde fast ungenießbar ist."
Etwa einen Monat nach Bestehen des KZ-Außenpostens Schwerte-Ost , am 12.05.1944, wagte der reichsdeutsche Schutzhäftling Alois Kottysch aus Gleiwitz das lebensgefährliche "Unternehmen Freiheit". Vier Tage später, am 16.05., wurde er wieder gefaßt. "Auf seiner Flucht hat er keine Diebstähle begangen", vermerkte die Kommandantur des KZ Buchenwald am 24.06."Lagerbestrafung ist einzureichen."
Der "Vorzugshäftling" Kottysch war im Reichsbahn-Ausbesserungswerk als sogenannter "Kapo" eingesetzt, d.h., er hatte nach eigenen Angaben gegenüber der Politischen Abteilung des KZ Buchenwald während seiner Vernehmung "im Betrieb für Ordnung zu sorgen und auf die anderen Häftlinge aufzupassen." Der Schutzhäftling Nr. 607 konnte sich während der Nachtschicht - er hatte sich um 37 Häftlinge zu kümmern - unbemerkt durch einen Seiteneingang aus der Halle entfernen und gelangte von dort in den Hof. Vom Hof aus lief er zu Güterbahnhof. Dort stieg über die Gleise, lief an der Bahnstrecke entlang "in der Absicht, nach Buchenwald zu gelangen und dort über die Verhältnisse im Kommando Schwerte zu berichten".
Der "Kapo" war nach Angaben von John beim Ausrücken zur Arbeit mit der gestreiften Hose und der umgeänderten polnischen Militärjacke bekleidet. "Er ist im Besitz einer schwarzen Hosen gewesen, die in der Unterkunft nicht mehr auffindbar ist. Wahrscheinlich hat er sie unter der gestreiften Hose getragen. Seine Fußbekleidung bestand aus Halbschuhen."
Aus der Vernehmung des "Kapos" durch die Politische Abteilung ergibt sich darüber hinaus ein genaueres Bild der Werkshalle bzw. der Bewachung der Häftlinge: Das Vorfeld der eigentlichen Lokhalle im AW war mit Zeltbahnen begrenzt, so daß links und rechts kleine Gänge entstanden waren. Der Hallenteil, der als Arbeitsteil der Häftlinge galt, war vom anderen Teil der Halle durch einen von Posten bewachten Schienenstrang begrenzt. An der Einfahrt für die Lokomotiven befanden sich in den großen Schiebetüren kleine Durchgangstüren. Hinter einer Zeltwand in der linken Hallenecke nahmen die Zivilarbeiter ihre Mahlzeiten ein. Dort stand, ebenso wie in der rechten Ecke, immer ein Wachtposten.
Der russische Schutzhäftling Gawriel Ponedelnik, Häftlingsnummer 7691, wurde am 24.05. zwei Tage nach seiner Flucht am 22.05. wiederergriffen. Er erhielt Arrest , einen Fluchtpunkt und wurde dem Strafkommando Gärtnerei zugeteilt. Ponedelnik war nach den Ergebnissen der Verhandlung in Buchenwald seit dem 10.06.1942 als russischer Zivilarbeiter in Deutschland. In Paderborn arbeitete er "in einer Lokomotivfabrik" und da es ihm dort "nicht gefiel, flüchtete er in der Absicht", woanders Arbeit zu finden. Wegen dieser Flucht wurde er am 03.07.1942 in Torgau verhaftet und am 23.07. in das KZ Buchenwald eingeliefert. Von dort aus wurde er im Mai 1944 zum Außenkommando Schwerte verlegt.
Er schildert seine Flucht wie folgt: "Am Fluchttag arbeiteten wir (Ponedelnik und sein Arbeitskollege Petrow, der Verf.) an einer Lokomotive, die hinter der Lokomotivhalle stand...Wir mußten im Innern der Lok Rost abkratzen, konnten deshalb auch von niemandem gesehen werden. Eine direkte Bewachung war nicht bei uns. Wohl stand ein Posten in der Tür, die zur Lokhalle führte. Der Posten hatte aber wahrscheinlich den Auftrag, die ein- und ausgehenden Zivilisten zu kontrollieren...Gegen vier Uhr nachmittags wurde die Lok, in der wir arbeiteten, durch eine andere abgeschleppt und etwa 30 m weitergefahren. Nachdem die zu reparierende Lok wieder abgehängt war und die andere wieder davonfuhr, stiegen wir aus...Die Flucht traten wir dann mit unseren Arbeitskleidern an, die mit keinerlei Markierung oder Nummern versehen waren." Tagsüber versteckten sie sich bis zur Nacht am Abstellplatz der Güterwagen in einem Bremserhäuschen eines Zuges. Gegen 23 Uhr bestiegen sie eine abfahrende Lokomotive und fuhren damit bis etwa 15 Kilometer vor Paderborn. Bei einem Stop trennte sich Petrow von Ponedelnik, der allein nach Paderborn weiterfuhr. In Paderborn suchte er seinen früheren Arbeitsplatz auf, wo er einige Stunden später verhaftet wurde.
Monat für Monat mußte Lagerkommandant John aus Schwerte geflohene Häftlinge ans Stammlager Buchenwald melden. Insbesondere gegen Kriegsende stieg die Zahl der Fluchten sprunghaft. Bei dem Rücktransport am 11.12.1944 vom Kommando Schwerte nach Buchenwald kam es zu einer Massenflucht von zehn Gefangenen: Wasil Fedorow, Wladimir Orlow, Konstantin Below, Iwan Djatkow, Nikolaj Owtscharenko, Grigorij Krochmalew, Wassilj Korobow, Leonid Baranow, Iwan Jakowlew, Alexej Jurtschenko. Zu diesem Zeitpunkt was das Schwerter Kommando, wie aus der Fluchtmeldung hervorgeht, bereits aufgelöst.
Die relativ guten Ausbruchsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Bewachung, von der die illegale KPD-Organisation im Stammlager Buchenwald für den Außenposten Schwerte-Ost ausging, werden durch einen "Beschwerdebrief" der Kommandantur - Arbeitseinsatz - Buchenwald vom 06.09.1944 an das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt Oranienburg indirekt bestätigt.
In diesem Schreiben beklagt sich der Lagerkommandant, das Arbeitskommando Schwerte habe wiederholt Anlaß zu Beanstandungen gegeben und zwar im wesentlichen als Ergebnis unzureichender Bewachung. "Zumal", so wörtlich, "seitens des Werkes immer wieder versucht wird, neben den Häftlingen freie fremdländische Arbeiter im selben Arbeitsbereich einzusetzen". Bei etwa 700 Häftlingen seien bisher bereits 84 Posten für deren Bewachung erforderlich geworden. Und trotzdem sei es nicht zu verhindern, daß bei dieser Gelegenheit die Zivilarbeiter mit den Häftlingen in Berührung kämen. Von den ausländischen Arbeitern seien die Häftlinge wiederholt mit Kleidern und Ausweisen versehen worden, wodurch Fluchten begünstigt oder erst ermöglicht worden seien.
In dem Brief geht der Lagerkommandant ferner detailliert auf die Gegebenheiten der Halle und deren Bewachungsmöglichkeiten ein. In der 234 x 90 Meter großen Lokhalle blieben ihm keine SS-Männer für die Bewachung der Häftlinge übrig, weil die Posten vom Kommandoführer für die Kontrolle der Tore und Eingänge eingesetzt werden müßten. Darüber hinaus müßte die laufende Zufuhr von Reparaturlokomotiven bzw. der Abtransport reparierter Lokomotiven überwacht werden. Die Posten seien Tag und Nacht eingesetzt und hätten ferner mit der Kontrolle der Passanten und durchfahrender Fahrzeuge alle Hände voll zu tun. Durch die mit reparaturbedürftigen Lokomotiven vollgestellte Halle sei dem Bewachungspersonal auch noch die Sicht genommen.
Der Briefschreiber nutzt in diesem Zusammenhang die Gelegenheit zu einem Seitenhieb gegen die Führungskräfte des Ausbesserungswerkes: "Der Kommandoführer steht auf dem Standpunkt, daß die deutschen Meister und Vorarbeiter sich nicht genügend um die Häftlinge kümmern. Wiederholt ist es vorgekommen, daß diese Führungskräfte gegen die Häftlinge handgreiflich werden und dann angeben, sie seien von den Häftlingen angegriffen worden. Es ist festgestellt worden, daß der Postenführer im Innern einer Lok Häftlinge schlafend vorgefunden hat, während der deutsche Vorarbeiter an der Maschine arbeitete."
Das sind Feststellungen, die auf Spannungen zwischen SS und Vertretern des Werkes schließen lassen. Denn der Hinweis auf Handgreiflichkeiten der Vorarbeiter gegenüber den Häftlingen kann als Vorwurf der Kompetenzüberschreitung interpretiert werden: Das Schlagen von Gefangenen hatte sich die Gestapo vorbehalten.
Das Schreiben schließt: "Es ist zusätzlich von hier aus (Weimar, der Verf.) der Einsatz mehrerer deutscher Kapos und Vorarbeiter beabsichtigt, um dadurch die Kontrolle über die Arbeitsleistung schärfer zu handhaben. Der Kommandoführer ist von hier aus angewiesen, die Überwachung der Arbeitsleistung ständig vorzunehmen und auch die Posten entsprechend anzuweisen." Außerdem solle das Kommando mit Rücksicht auf den Einsatz in der Halle mit einigen Pistolen ausgerüstet werden.
Zusätzlich wolle man an das Reichsbahn-Ausbesserungswerk herantreten um zu erreichen, "daß die deutschen Führungskräfte sich mehr um die Arbeitsleistung der Häftlinge kümmern. Außerdem wird versucht, daß eine reinliche Trennung zwischen den Häftlingseinsatz und den ausländischen Arbeitern erreicht wird."
Unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft waren den Produktionsbetrieben bestimmte zu erfüllende Sollzahlen vorgegeben. Die schriftliche Bemerkung des Lagerkommandanten, seitens des Werkes werde bei nicht erreichtem Soll an Reparaturen die Schuld gerne auf den Häftlingseinsatz geschoben, geht inhaltlich parallel mit der Aussage der damaligen Werksleitung, man sei an einem Häftlingseinsatz aufgrund mangelnder fachlicher Qualifikationen der Häftlinge für die auszuführenden Arbeiten nicht unbedingt interessiert gewesen.
Thema einer Lagerbesichtigung im Sommer 1944, am 06.06., war die geplante Lagererweiterung. Teilnehmer der Besichtigung waren neben dem damaligen Werksleiter drei Vertreter höherer SS-Ränge sowie ein Oberbahnrat aus Elberfeld, dem Sitz der damaligen Reichsbahndirektion. Diese Tatsache könnte darauf schließen lassen, daß die Zuteilung der Gefangenen durch die Reichsbahndirektion zu verantworten war, wie der damals zuständige Werksleiter in einem Zeitungsinterview angegeben hatte.
Bei dem bei einer Kontrolle schlafend in eine Lok angetroffenen Häftling hat es sich sehr wahrscheinlich um den Belgier Leon van Oyenbrugge gehandelt, der in seinen Erinnerungen eine derartige Episode schildert.
Unter der Anleitung eines etwa 70-jährigen deutschen Vorarbeiters arbeitete Oyenbrugge mit an der Reparatur einer Lokomotive. Gelegentlich zog sich der belgische KZ-Häftling zu einer kleinen Pause auf den Führerstand der Lokomotive zurück. "Wenn ich im Führerstand war, setzte er sich zu mir, aber meistens lag er auf der Lauer und unterrichtete mich, wenn sich ein SS-Mann näherte. Er gab mir einen Apfel oder ein Stück Brot, das in eine Zeitung gewickelt war. Er legte seine kleinen Geschenke immer in den Werkzeugkasten. Wenn der SS-Mann sich entfernte, nahm ich das Päckchen hervor, das ich unter meinem Hemd auf meinem Bauch versteckte. Ich aß immer im Führerstand der Lokomotive."
Und weiter heißt es in dem Bericht: "In einer Nacht hatte ich mich wieder in meinen Führerstand begeben, um ein bißchen zu schlafen. Ich wußte, daß der Alte auf der Lauer lag und daß er mit dem Hammer an die Wand der Lokomotive klopfen würde, wenn Gefahr nahen würde." Aber das Schicksal nahte in Gestalt eines gewaltigen Drehkrans, der die Lok anhob und im Bereich der Zivilarbeiter absetzte. Oyenbrugge gelang es nicht mehr, die Maschine rechtzeitig zu verlassen. Zwischenzeitlich gab es einen Appell bei den politischen Häftlingen, wobei das Fehlen eines Mannes festgestellt wurde. Als der junge Mann endlich aus der Maschine herausgeklettert war, wurde er zurück ins Lager gebracht und von zwei SS-Leuten verprügelt. "Während mehrerer Tage war es mir unmöglich zu gehen. Ich hatte vor allem Faustschläge in meinen Bauch bekommen. Das war sehr schmerzhaft."
Der KZ-Außenposten im Reichsbahn-Ausbesserungswerk Schwerte-Ost wurde nach Unterlagen der Gedenkstätte Buchenwald mit der Rückführung von 201 Gefangenen am 15.01.1945 aufgelöst. In einer Mitteilung der Abteilung III Schutzhaftlager Weimar-Buchenwald an die Politische Abteilung des KL Buchenwald vom 25.01.1945 über die Flucht von zehn Gefangenen aus Schwerte während des Rücktransports am 11.12.1944 ist ebenfalls davon die Rede, das Kommando Schwerte sei zwischenzeitlich aufgelöst worden.
Über Zu- und Abnahme der Lagerstärke im Zeitraum von April 1944 bis Februar 1945 geben Stärkemeldung der Außenkommandos und Arbeitsstatistik ein gutes und umfassendes Bild. Am 09.04. lag die Appellstärke in Schwerte bei 100 Mann, am 03.08. bei 447, am 29.09. bei 701, am 19.11. bei 670, am 21.01.1945 bei acht Männern. Bei diesen acht Gefangenen handelte es sich, wie ein von der Gedenkstätte Buchenwald vorgenommener Vergleich der Häftlingsnummern ergab, um Flüchtige.
Im November verringert sich die Lagerbelegung, wie aus der Arbeitsstatistik hervorgeht, um etwa 100 Personen, um im Dezember des gleichen Jahres noch einmal um etwa 150 Personen und zweimal um jeweils gut 100 Menschen. Ende 1944 weist die Arbeitsstatistik für Schwerte noch eine Gesamtstärke von 174 Gefangenen aus.
Der Rücktransport der Gefangenen nach Buchenwald erfolgte teilweise in Güterzügen, teilweise aber auch möglicherweise zu Fuß in Trupps von rund 100 Mann. Ende Dezember wird in Buchenwald neben einigen Fluchten ein Zugang von 101 Leuten registriert, am 3. Januar 1945 ein weiterer mit 100 und Mitte Januar ein Zugang von 201 Leuten.
"Eines Tages mußten wir fort", beschreibt der frühere KZ-Häftling Leon van Oyenbrugge in der französischen Fassung seiner "Erinnerungen an Schwerte" die Lagerauflösung. Demgegenüber ist in der niederländischen Darstellung im gleichen Zusammenhang von "Evakuierung" die Rede. Und zwar "zu Fuß und für viele Tage". Es war ein kalter, strenger Winter. Der Schnee lag hoch. "Wir liefen Tag und Nacht." Und wenn es nicht schneite, regnete es. Auf ihrem Marsch lutschten die Männer Schnee, um den Durst zu stillen. "Diejenigen, die nicht folgen konnten, bekamen einen Genickschuß. Wir ließen die Toten hinter uns." Nach ungefähr acht Tagen erreichten sie das KZ Mauthausen, wo man einige Monate blieb. Am Ostersonntag, 01.04.1945, zogen sie weiter und ein oder zwei Tage später waren sie in Buchenwald, so der Bericht Oyenbrugges.
Demgegenüber weist Dr. Harry Stein, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald darauf hin, daß nach dem derzeitigen Kenntnisstand Rücktransporte von den einzelnen Außenlagern ins Stammlager üblicherweise mit der Eisenbahn vorgenommen worden seien. Das Eisenbahnnetz sei zu diesem Zeitpunkt noch relativ in Ordnung gewesen.
Im Frühjahr 1945 erzitterte Schwerte unter schweren Flächenbombardements der alliierten Luftstreitkräfte. Bei dem Bombenangriff am 11.04.1945 beschädigten 15 Sprengbomben die Schmiede, das Eisenlager, das Kesselhaus und eine Krananlage im RAW. Dabei wurden zehn Menschen getötet und 40 verletzt. Einen Tag später, am 12. April, wurde das Werk von den Amerikanern besetzt.
Der Krieg war zu Ende. Zwei Zeitzeugen, der Schwerter Journalist Hans Schneider und sein Bruder Günther, erinnern sich. An der Hörder Straße verließen die Bewohner die Keller, in denen sie seit langen Tagen und Nächten Schutz vor den Bomben gesucht hatten. Frauen, Alte und Kinder standen an der Straße und sahen eine Reihe ausgemergelter Gestalten stadteinwärts wanken. Unter ihnen einige Männer in gestreifter, um den Körper schlotternde Kleidung. "Was schaut ihr so, Kinder", rief einer dieser Männer den fassungslosen, mit offenen Mündern starrenden Kindern zu. "Ich bin ein weißer Neger".
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Quellennachweis:
© Alfred Hintz, Schwerter Journalist, erstellte diese Arbeit auf der Basis von Quellenmaterial, das aus nachstehenden nationalen und internationalen Archiven zusammengetragen wurde:
Internationaler Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen, Bundesarchiv Berlin, Staatsarchiv Nürnberg, Archiv für Kriegsopfer in Brüssel, die US-amerikanischen Archive Washington, das Archiv der Gedenkstätte Weimar bei Buchenwald sowie das Stadtarchiv Schwerte. Ergänzungen wurden von Zeitzeugen gegeben.
Trotz des lückenhaften Quellenmaterials konnte mit diesen Aufzeichnungen ein grober Überblick von der Entstehung des Außenpostens Schwerte-Ost im Frühjahr 1944 bis zu seiner Auflösung Anfang 1945, über Arbeits- und Lebensbedingungen, Ernährung, Fluchten und Bestrafungen im Lager gegeben werden.